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Farsoud

Farsoud

Mein Herz ist ein Stein

Farsoud hat eine neue Frisur. Mit eingeflochtenen Zöpfen und rasiertem Hinterkopf und an den Seiten. Er ist ungefähr 20 Jahre alt. Sie haben sein Alter nicht korrekt aufgeschrieben, sagt er. Aber das sei egal. Sie könnten es ändern, wenn sie in Finnland seien. Dort ist der große Bruder, lebt dort schon seit acht Jahren. Dahin will er mit seinem anderen Bruder und seiner Mutter. Wenn sie anerkannt werden. Wenn der Ausweis da ist. Und das Camp auf Lesbos für sie Vergangenheit werden darf.

Farsoud arbeitet bei Fabiola und in ihrem Team von Earth Medicine, einer Organisation, die von Space-Eye unterstützt wird und seit vielen Jahren und in verschiedenen Camps auf Lesbos tätig ist.

Die Familie, deren Vater nicht mit dabei ist, lebt in einem der kleineren Zelte im Camp. Leider haben sie keinen Container bekommen, aber sie seien allein im Zelt, nur ihre Familie, sagt Farsoud. Der Mutter geht es nicht gut, sie wüssten nicht, was sie habe. Das Camp sei für niemanden gut. Das Essen immer zu wenig. Manchmal schmecke es aber ganz okay. Aber wenn es Fisch gebe, esse er lieber nichts. Einmal sei ihm schlecht geworden und daraus habe er gelernt. Wenn er mit dem Team von Earth Medicine ins Behandlungshaus in die Stadt fahre, könne er dort mitessen. Das sind die guten Tage, sagt Farsoud.

Farsoud kann sich nicht an Afghanistan erinnern. Er war ein kleiner Junge, als die Familie in den Iran gezogen ist. Aber an den Iran kann er sich natürlich gut erinnern. Und dass vieles für ihn als Afghanen verboten war. „Ich wollte in die Schule gehen, aber die erste Schule hat gesagt, sie hätten keinen Platz mehr. Und die zweite Schule hat das Gleiche gesagt.“ Farsoud hat gesehen, dass das nicht stimmte und das auch gesagt. Aber aufgenommen haben sie ihn nicht. Irgendwann hat es dann doch geklappt. Er wolle studieren, hat viel gelernt dafür und sein Traum ist etwas mit Chemie. Im Iran hatte man ihm gesagt, dass er keine Chemie studieren dürfe. Das sei für ihn verboten. Er fragt, ob das in Deutschland auch so sei. Dass nicht jeder alles studieren dürfe. Ich sage ihm, dass das nichts mit Verbot zu habe in Deutschland, sondern oft mit den Noten aus der Schule. Das sei etwas anderes als ein Verbot. Ja, sagt er, das ist etwas anderes.

Farsoud arbeitet von Montag bis Freitag als Übersetzer. Er übersetzt Farsi in Englisch und zurück. Er ist ein sehr gewissenhafter Übersetzer, fragt immer nach, wenn er etwas nicht verstanden hat. Sein Englisch ist nicht perfekt, aber einwandfrei. Er hat sich das meiste selbst beigebracht. Nur wenn es um Frauenangelegenheiten geht, muss er hinausgehen, sagt er, kein Problem!

Farsoud sagt auch, dass er sehr gerne übersetzt. Als er ins Camp gekommen sei, habe er immer nach denjenigen geschaut, die für Hilfsorganisationen übersetzen durften. Und dann hat es für ihn auch geklappt. Ob es hart sei, die Probleme der anderen zu übersetzen. Wo er doch selbst auch ähnliches durchgemacht habe. Nein, sagt Farsoud. Dann ist mein Herz ein Stein. Dann macht mir nichts mehr etwas aus.

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https://www.betterplace.org/de/projects/108378-health-network
https://space-eye.org/health

Mehr erfahren über Afghanen im Iran?<
https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/iran
https://www.fes.de/themenportal-flucht-migration-integration/artikelseite-flucht-migration-integration/afghanische-gefluechtete-sind-in-iran-mit-vielfaeltigen-diskriminierungen-konfrontiert

Janina

Janina

Ob ich wiederkomme? Das entscheide ich jedes Mal neu

Janina kommt immer wieder. Schon das vierte Mal ist sie für viele Wochen hintereinander auf Lesbos, um in Fabiolas Team bei Earth Medicine mitzuarbeiten. Ein Projekt, das von Space-Eye unterstützt wird. Als Freiwillige, sie hat sich hierfür von ihrem Leben in Deutschland freigemacht, ob das einfach ist, wissen wir nicht. Janinas Schwerpunkt ist die psychische und körperliche Behandlung von Traumata. Sie ist Körpertherapeutin und behandelt energetisch, oft eine sehr gute Verbindung mit Physiotherapie.

Sie sagt: „Ich weiß nie, ob ich wiederkomme. Ich entscheide das immer wieder neu.“ Und sie entscheidet sich immer wieder dafür. Warum? „Es ist der richtige Ort, um wirksam zu sein. Einmal kam ich wieder und traf einen Menschen, der körperlich und psychisch völlig am Ende war. Ich hatte noch nie jemanden gesehen, dem es so elendig ging. Und da wusste ich: seinetwegen bin ich gekommen!“

Janina schätzt den ganzheitlichen Ansatz im Team auf Lesbos. Sie sagt, das sei außergewöhnlich und es bräuchte viel mehr von diesen Ansätzen, um Menschen wirklich helfen zu können. Verschiedene Disziplinen kümmern sich um den einzelnen Menschen und sie entscheiden im Team, welche Behandlung für wen am besten erscheint. Über die Länge der Behandlung entscheiden nicht sie, das tut der Asylprozess – unvorhersehbar, zäh und plötzlich vorüber, was in den meisten Fällen die sofortige Abreise der Menschen bedeutet.

Wie alle in Fabiolas Team behandelt Janina Menschen, die auf Lesbos noch im Camp wohnen, deren Asylprozess noch nicht abgeschlossen ist. Und alle sind über das Meer aus der Türkei gekommen. Viele von ihnen haben chronifizierte Störungen. Von dem Leben vor der Flucht, aber auch von dem, was sie unterwegs erlebt haben. Und die Flucht hat für viele eine lange Zeit gedauert. Manchmal Jahre. Und auch heute würde hier im Camp niemand sagen, dass sie angekommen seien – auf keinen Fall.

Oft haben die Menschen Schmerzen und leiden unter dem, was sie erlebt haben. Eine junge Frau aus Afghanistan berichtet während des Aufnahmegespräches, dass sie maximal ein bis zwei Stunden schläft, sie habe zu viel Angst vor Albträumen, die sie verfolgen. Jede Nacht.

Janina versucht Spannungen, solche in der Psyche, zu lösen. Sie arbeitet mit unterschiedlichen Ansätzen und vor allem der Energie der Menschen. „Oft wundere ich mich, wie leicht es geht, an die Menschen heranzukommen. Oft viel leichter als in Deutschland.“ Dies liege daran, dass viele keinerlei Schutzschild mehr hätten, keine Abwehrmechanismen, um das zu tarnen, was Spuren bei ihnen eingebrannt hat.

Janinas Ansatz ist einer, der im besten Fall über Wochen verläuft. Sie sagt, sie fühle sich schlecht, wenn sie wieder abreisen müsse und Menschen zurücklasse, die noch so viel an Hilfe bräuchten und für die, auch trotz intensiver Betreuung, die Besserung gerade erst begonnen habe.

Und Janina sagt auch, dass die Gewalterfahrungen zugenommen zu haben scheinen seit ihrem letzten Aufenthalt hier. Woran das liegt? Sie weiß es nicht, kann es nur aufgrund ihrer Behandlungen so einschätzen.

Ein großes Problem für Janina ist die oft nicht vorhandene Kontinuität. Nicht nur, weil Menschen plötzlich abreisen, sondern auch, weil sie oft nicht zu Terminen kommen. Sie haben Sorge, Termine im Camp zu verpassen, wenn sie zu Earth Medicine zur Behandlung nach Mytilini kommen. Dort gibt es ein schönes Behandlungshaus mit drei Räumen, denn im Camp sind die Möglichkeiten, hauptsächlich bei schlechtem Wetter, begrenzt. Wie man einen Termin verpassen kann? Das ist für uns nicht einfach vorstellbar, denn wir sind es gewohnt, Termine vorab mitgeteilt zu bekommen, gegebenenfalls verschieben zu können. Nicht so im Leben im Camp. Wenn der Moment gekommen ist, wird man ausgerufen oder abgeholt. Auch, wenn es um wichtige Dinge im Asylprozess geht, der das weitere Leben bestimmen wird. Wenn man nicht da ist? Dann kann sich das monatelange Warten weiter verlängern. Man weiß es nicht.

Natürlich gibt es auch Sprachbarrieren. Nicht immer ist ein Übersetzer – immer auch selbst Flüchtling im Camp – verfügbar. Jeder hat hier seine eigenen Probleme. Und trotzdem helfen Menschen gerne.

Janina sucht nach Verbindungen zu den Menschen – auch ohne Sprache. Und obwohl diese wichtig ist, um einander zu verstehen und die, für viele sicher ungewohnte Therapie, zu begreifen, profitieren die Menschen von dem, was sie Janina erleben enorm, aber ein Spaziergang oder gar Wellness ist es nicht für sie.

Ein junger Mann aus Eritrea war lange hier. Es ist in einem Attentat mit einer Autobombe in Eritrea schwer verletzt worden. Kann eine Seite kaum bewegen, die Schulter und der Rücken sind deformiert. Das kommt von den verletzten Nerven. Alle im Team kennen ihn. Nun ist der Tag der Abreise gekommen. Er hält Janina das Fährticket nach Athen für den gleichen Abend unter die Nase. Der Abschied voneinander ist gekommen. Er öffnet die Hände und hält sie sich wie ein Buch vor sein Gesicht: „Can we do this?“, fragt er Janina, ein Symbol für die Therapie bei ihr. Und meint damit eine letzte Behandlung mit ihr.

Mehr zum Hintergrund an der europäischen Außengrenze und Janinas Arbeit?

https://www.youtube.com/watch?v=gb4gA3Rqgt4

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Samia

Samia

Crying is finished now

Samia sitzt auf ihrem Bett in einem Container im Flüchtlingscamp auf Lesbos. Sie hat uns erwartet, wir waren gestern schon hier. Mussten wieder gehen, weil die Übersetzerin nicht gekommen ist. Heute aber klappt alles. Die Übersetzerin ist da, Samia auch. Aber das ist keine Überraschung, denn Samia verlässt ihren Container fast nie.

Samia kommt aus Somalia. Sie ist Anfang 40. Das haben wir den Unterlagen entnommen, ihr Aussehen deutet auf eine deutlich ältere Frau hin. Als Kind in Somalia erkrankt Samia an Kinderlähmung. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob daher ihre Gehbehinderung kommt. Ein Bein ist fünf Zentimeter kürzer als das andere. Durch die vielen Jahre der fehlenden Hilfsmittel und den weiten Weg, den sie zurückgelegt hat, hat dies Auswirkungen auf ihren gesamten Körper. Es kommen auch Misshandlungen und ein Attentat zur Sprache, aber tiefer geht sie nicht darauf ein.

8.00 morgens, jeden Morgen. Samia steht auf, sie macht sich so gut es geht fertig und wartet darauf, dass eine andere Flüchtlingsfrau kommt, um mit ihr zur Toilette zu gehen. Im Container gibt es kein Badezimmer, nicht mal fließendes Wasser. Gehen kann Samia kaum, wenn dann nur sehr, sehr langsam. Mit einem Rollstuhl im Camp? Das ist so gut wie ausgeschlossen. Alle Wege sind geschottert, Barrierefreiheit gibt es nicht. Ungefähr eine Stunde dauert es, bis sie zurück ist, sagt sie.

11.00 Samia frühstückt spät. Das mache sie absichtlich so, sagt sie uns. Dann könne sie eine Mahlzeit ausfallen lassen und brauche niemanden zu bitten, sich für sie anzustellen. Da gäbe es einfach zu oft Probleme und die Schlange an der Essensausgabe im Camp sei sehr lang. Selbst anstellen kann sie sich nicht.

Was sie danach mache, fragen wir. Nichts, antwortet sie. Aufräumen. Sie habe ein Buch. Manchmal lesen. Manchmal ihren Bruder anrufen. Aber eigentlich: nichts.

16.00 Essenszeit, ein anderer Campbewohner bringt ihr später etwas vorbei. Und danach: nichts, bis zum Schlafengehen um 22.00 Uhr. Manchmal bekommt sie Besuch, dann freut sie sich.

Im Container gibt es nur die Basics. Oder besser gesagt: ein Basic – das Bett. Keinen Schrank, keinen Tisch, aus Holzabfällen hat ihr jemand zwei Hocker gebastelt. Doch alles ist sauber und ordentlich. Auch sie selbst wirkt gepflegt. Hat bunte Tücher um sich geschlungen. Wenige Gegenstände sind an der Containerwand aufgereiht, ihre Kleider auf dem oberen Bett verstaut. Ihre Bettnachbarin ist neu im Camp. Hat sich bei der Ankunft einen komplizierten Bruch zugezogen und musste operiert werden. Sie benutzt jetzt Samias Toilettenstuhl.

Samia versucht so wenig wie möglich zu trinken. Dann muss sie selten zur Toilette. Denn manchmal kann niemand helfen, dorthin zu kommen. Und das ist dann ganz schrecklich, sagt sie.

Seit vier Jahren ist sie in Griechenland und auf Lesbos. Hat Moria miterlebt. Und Kara Tepe, wo die Zustände etwas besser waren. Und jetzt hier das neue Camp am Meer. Hat im Zelt gelebt und in Containern, manchmal sehr beengt, manchmal wie jetzt, nur zu zweit. Vier Jahre von einem Camp ins andere. Als das große Feuer in Moria ausgebrochen sei, habe man sie als letzte gerettet. Und dabei habe sie Glück gehabt, bei kleineren Feuern habe man sie öfter sogar vergessen in ihrem Container. Sie sagt das nicht zynisch, gar nicht. Mehr so, als sei es tatsächlich ein Glück.

Wer denn von den Offiziellen und NGOs nach ihr schaue, fragen wir sie. No Government, no NGO, sagt sie. Nur Fabiola komme immer vorbei, wenn sie Zeit habe. Man spürt, wie eng sie sich Fabiola verbunden fühlt. Sucht immer wieder nach ihrer Hand, während sie spricht.

Samia ist in einem asylrechtlichen Limbo. Ihr erster Antrag auf Asyl wurde vor Jahren abgelehnt. Zu Beginn haben sich noch Anwälte gekümmert. Jetzt nicht mehr. Ein europäisches Land hätte sie mit humanitärem Visum aufnehmen wollen. Auch wegen der schrecklichen Dinge, die ihr auf der Flucht passiert seien, weil sie nicht weglaufen konnte. Aber als man die Unterlagen genauer gelesen habe, habe man den Antrag abgelehnt. Gefahr von baldiger Pflegebedürftigkeit. So, oder so ähnlich. Auch das ist Jahre her.

Wie mag sie den Weg von Somalia hierher geschafft haben? Familie hat sie keine dabei. Und auch sonst niemanden, der ihr besonders verbunden zu sein scheint. Vielleicht sind diejenigen, die ihr geholfen haben, aber längst weitergezogen. Man kann nicht warten, wenn der eigene Antrag entschieden ist. Man darf nicht mal, wenn man es möchte. Die Übersetzerin, selbst Flüchtling im Camp, scheint mit ihr vertraut zu sein. Übersetzt ruhig und leise ins Englische. Übersetzt uns eine der trostlosesten Geschichten, die wir bisher gehört haben.

Fabiola, Gründerin von Earth Medicine, die von Space-Eye unterstützt wird, gibt auch hier nicht auf. Immer wieder schmiedet sie Pläne. Gerade hat sie Spenden für Gehhilfen gesammelt. Aber dafür muss Samia nach Athen, auf der Insel kann sie niemand vermessen. Aber Samia darf das Lager und die Insel nicht einfach verlassen. Oder vielleicht verlassen, aber dann nicht zurückkommen und was dann? Ohne Entscheidung, ohne Unterkunft, ohne Versorgung. Und illegal auf dem Festland. Fabiola verspricht, sich um eine Sondergenehmigung zu kümmern.

Ob sie etwas froh mache, fragen wir. Im Camp? Fragt sie zurück, als wenn es auch ein anderes Leben für sie gäbe. Im Camp macht mich Fabiola froh. Und dass ich mich doch ganz gut alleine versorgen kann, sagt sie.

Die ersten Jahre habe sie viel geweint, sagt Samia. Nur im Bett gelegen und geweint. Aber „Crying is finished now!“, sagt sie. Du musst Dich entscheiden, ob Du traurig, wütend oder hoffnungsvoll sein willst. Und dann musst Du es auch zeigen. Wie zur Bestätigung hat sie eine Mütze aus einer Kleiderspende auf dem Kopf. Smile.

Mehr über das Thema Flucht und Somalia erfahren?https://www.ted.com/talks/benedetta_berti_and_evelien_borgman_what_does_it_mean_to_be_a_refugee_jan_2018

https://www.amnesty.ch/de/ueber-amnesty/publikationen/magazin-amnesty/2011-4/somalia-flucht-und-furcht-ohne-ende

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Ich sehe mich als Wegweiser!

Ich sehe mich als Wegweiser!

Wir treffen Lara auf Lesbos. Ein kurzer Flug von Samos und dem Housing-Projekt entfernt. Oder fünf Stunden Fähre. Nah. Und weiterhin nah an der türkischen Küste, an der schmalsten Stelle vielleicht sieben Kilometer davon entfernt. Samos ist noch näher. Nur 1,5 km an der schmalsten Stelle. Doch Lesbos ist die Insel, auf der seit vielen, vielen Jahren die meisten Flüchtlinge ankommen. Mit dem Boot aus der Türkei. Und nicht, weil die Menschen es wollen. Sondern, weil die Schlepper es so umsetzen.

Lara ist zum dritten Mal hier im Einsatz. Sie ist als Freiwillige Teil des Teams von Earth Medicine Physical Rehabilitation, das Partner von Space-Eye Hellas ist und seit mehr als zwei Jahren finanziell unterstützt wird. Lara weiß, was sie tut, sie ist Physiotherapeutin. „Es hilft den Menschen nichts, wenn sie in Watte gepackt werden. Alle, die zu uns kommen, haben massive körperliche und vorwiegend seelische Probleme. Wenn ich ihnen helfen will, braucht es viel Einfühlungsvermögen, aber auch die Einsicht der Einzelnen, dass sie nur dann Linderung erfahren, wenn sie sich selbst reinhängen. Selbstheilung kommt auch von Pushen!“ Viele sind jahrelang unterwegs gewesen, haben auch körperlich schreckliche Dinge im Heimatland und auf der Flucht erlebt. „Ich muss nicht alles wissen über die Geschichten der Menschen, manchmal ist es sogar besser, ich weiß es nicht, denn das würde mich irgendwie hemmen, denke ich.“

Lara ist fröhlich, ihre Energie ist ansteckend, es ist schön, in ihrer Nähe zu sein. Und das sehen die Menschen im Camp auch so. Obwohl viele mehrmals pro Woche zu ihr kommen in den kleinen Container auf einem Hügel im Camp, begrüßen sie sie, als hätten sich liebgewonnene Menschen ewig nicht gesehen. Doch ihre Behandlungen sind keine Wellness-Massage. Für viele sind sie dennoch die Chance, Verletzungen der Flucht, Einschränkungen durch schlechte Behandlung und Folter und auch Behinderungen in den Griff zu bekommen. In der letzten Zeit kommen immer mehr Menschen mit Knochenbrüchen, sagt sie. Die sie sich wahrscheinlich bei der Ankunft auf Lesbos zugezogen haben. Weil sie nachts kopflos vor Angst über Felsen gestolpert sind. Aus Angst, aufgegriffen zu werden und dorthin zurückgebracht zu werden, woher sie gekommen sind. In die Türkei. Und leider ist dies keine unbegründete Angst, sondern alltäglich.

Lara ist es besonders wichtig, die Menschen in die Lage zu versetzen, alleine weitermachen zu können. „Ich sehe mich als Wegweiser“, sagt sie. Als jemand, der vielleicht nur kurzfristig im Einsatz mit dem Einzelnen sein kann. Um langfristig Wirkung erzielen zu können. Damit die Menschen von ihr und der Zeit mit ihr unabhängig zu sind. Denn wie überall in Griechenland: die Menschen wollen weiter. Das Camp ist eine Durchgangsstation, die irgendwann und meist sehr plötzlich endet. Eine, die lange dauern kann. Monate immer, Jahre manchmal und zu oft.

In dem kleinen Behandlungsraum im Container, gerade mal 3 x 3 Meter groß, ist sie manchmal mit drei Menschen gleichzeitig. Zwei trainieren auf dem Boden, einer liegt auf der Behandlungsliege. Aber so ist das eben hier im Camp, wo Menschen in Containern und Zelten leben und Privatsphäre ein unerreichbarer Luxus ist. Auch in einer individuellen Behandlung.

Lara begrüßt ihren nächsten Patienten, fröhlich und herzlich. Naiv? Nein, naiv ist sie nicht. Sie sieht alles, was um sie herum passiert. Oft ist sie fassungslos. Sie hält Röntgenbilder hoch, die eindeutig zeigen, dass eine Operation hastig, vielleicht ohne Sorgfalt durchgeführt wurde. Und für die Betroffene massive Probleme und Ängste mit sich bringt. Sie kann erahnen, was Menschen an Schmerzen und Leid durchgemacht haben und immer noch durchmachen. Sie ist nicht naiv. Sie ist professionell und rigoros emphatisch.

Nur wenige Flüchtlinge treffen eine Lara auf ihrem harten Weg. Doch die, die sie getroffen haben, werden es nie vergessen. So viel steht fest. Und das ist der Antrieb für Lara, immer wiederzukommen.

Mehr zum Hintergrund an der europäischen Außengrenze?

https://www.youtube.com/watch?v=gb4gA3Rqgt4

https://www.youtube.com/watch?v=0yqAW_c7OmE&t=24s

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Sopran

Sopran

Das Wichtigste ist, dass die Kinder gesund sind!

Wir suchen den Container von Soprans Familie. Das ist gar nicht so einfach, denn alle Gänge sehen sich ähnlich. Die Container sind gleich, unterscheiden sich nur von dem, was davor steht. Und es gibt viele Container. Und auch immer noch Zelte – kleine für eher eine Familie und die riesigen für die allein reisenden Männer. Wie viele werden in ein Zelt passen? 60, 70? Das Camp ist direkt am Meer und obwohl es frühlingshaft ist, weht ein kalter, kräftiger Wind über die Unterkünfte. Wer hier lebt, weiß noch nicht, wie der Asylantrag ausgehen wird. Alle hier leben im großen Warten.

Sopran ist fünf Jahre alt, bald wird er sechs. Wir besuchen ihn und seine Familie in ihrem Container. Die Mutter ist Wäsche waschen gegangen, das kann dauern, sagt der Vater. Er ist mit seinen drei Söhnen im Container, hat uns erwartet. Hat quietsche-süße Karamellbonbons auf einem kleinen Kocher gemacht und uns Tee gekocht. Das gehört eigentlich nicht hierein, sagt er. Im Container gibt es nichts als die Betten. Kein Bad, kein fließendes Wasser, keine Kochgelegenheit. Man muss sich zu helfen wissen, sagt er. Sie haben Glück gehabt mit dem Container. Die sind viel besser als die Zelte, sagt er. Und es gibt Strom. Die Fugen der Wände hat er mit Klebeband geschützt. Gegen den Regen? Nein, gegen kleine Insekten, die sind eine Plage. Obwohl täglich der Müll geleert wird und das eine solche Verbesserung gegenüber früheren Camps ist.

Es ist sehr aufgeräumt in Soprans Container. Die Kinder sitzen auf dem Boden und essen ihr Frühstück. Sie sind leise und konzentriert, die Großen ziehen sich wortlos an, machen sich auf den Weg in die Schule. Sie werden abgeholt von einem Bus. Sie haben Glück, sagt der Vater, dass sie mitgenommen werden und die Schule sie aufgenommen hat. Nicht viele Kinder haben dieses Glück. Und sie können schon ein wenig Griechisch. Aber es ist egal, ob sie alles verstehen. Schule ist wichtig, sagt der Vater. Schule bringt Zukunft.

Seit seiner Geburt hat Sopran Probleme mit Beinen und Armen. Er war Zwilling, wie seine beiden älteren Brüder. Doch sein Zwillingsbruder hat die Schwangerschaft nicht überlebt. Sopran geht in den Kindergarten im Camp. Aber er geht nicht gerne dorthin. Versteht sich nicht so gut mit den anderen. Er ist anders. Die Beine sind spindeldürr, die Muskeln haben sich nicht entwickelt. Als Fabiola und ihr Team ihn kennenlernen, geht er nur auf der Außenkante seiner Füße, die Knochen sind deformiert, die Knie in Mitleidenschaft gezogen. Seine Hände bewegte er damals wenig. Sopran hat ein gutes Herz, sagt sein Vater. Er ist ein schlauer Junge.

Seit zwei Jahren ist die Familie unterwegs. Der Vater hat ihn von Afghanistan über den Iran und die Türkei bis hierin nach Lesbos getragen. Einen Rucksack auf dem Rücken, den Jungen auf den Schultern. Seine Frau hatte auch einen Rucksack und an jeder Hand einen der beiden Zwillinge.

Heute ist vieles anders. Sopran war in den vergangenen Monaten an jedem Tag bei der Therapie. So klein er ist, so sehr hat er verstanden, dass es ihm hilft zu trainieren. Lara, die Physiotherapeutin, die mehrere Monate hier ist und zu der er eine besondere Verbindung hat, hat eine Spende aus Deutschland besorgt. Bald wird er Schienen bekommen, die seine Beine stützen. Dann wird er besser laufen können. Und langfristig weniger Probleme haben, sagt Fabiola. Sopran hat auch nicht gegessen, als sie ihn zum ersten Mal im Projekt sahen. Alles hängt irgendwie zusammen, sagt Fabiola. Aber auch das ist jetzt, nach einer Behandlung mit Vitaminen und Eisen, besser.

Der Vater hat ein Friseurgeschäft im Camp eröffnet. Er war in Afghanistan 20 Jahre lang Friseur. Es gibt noch drei andere Friseure im Camp, aber seine kleine Baracke ist beliebt, liegt an der „Hauptstraße“. Er öffnet jeden Tag, nur wenn es regnet, dann nicht. Dann geht niemand raus, der es nicht muss, alles ist dann überschwemmt. Wer ihn bezahlen kann für einen Haarschnitt, der bezahlt, sagt er. Wer kein Geld hat, bezahlt eben nicht. So ist das hier.

Der Vater freut sich über unser Interesse an seiner Familie, bedankt sich immer wieder bei Fabiola und Lara, dass sie Sopran helfen. Sagt, sie freuen sich alle auf die neuen Schienen. Auch wenn Sopran erst mal üben muss, damit zu gehen. Das wird nicht leicht, aber das schafft Sopran schon, sagt er, mit Eurer Hilfe. Was er sich wünsche für die Zukunft, fragen wir ihn. „Nur, dass die Kinder gesund sind. Das ist das Wichtigste. Alles andere schaffen wir schon.“

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