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Schwangerschaft im Camp

An der Tür empfängt uns eine herzlich strahlende junge Frau, die Mutter von vier Kindern. Younes, unser Dolmetscher aus Afghanistan, stellt uns vor, und die Frau bittet uns freundlich hinein. Die Wohnung ist schön kühl, da der Wind durch die geöffneten Fenster bläst, ganz im Gegensatz zu dem schweißtreibenden Wetter draußen.

Die junge Mutter heißt Sahar. Sie bringt uns etwas Kühles zu trinken. Ihr jüngstes Kind, ein zwei Monate altes Baby, liegt friedlich summend in seinem Bettchen im Wohnzimmer. Das Baby trägt ein Kleid, das Sahar selbst genäht hat.

Das Baby erblickte auf Samos das Licht der Welt. Überschattet wurde die Schwangerschaft durch eine Coronavirus-Erkrankung der Mutter, im siebten Schwangerschaftsmonat. Die Familie verbrachte 14 Tage in einem isolierten Container im Camp. Glücklicherweise überstand die Familie die Coronavirus-Erkrankung ohne weitere Folgen.

Sahar zeigt uns die Wohnung, die sehr sauber und ordentlich ist. Es ist eine Zwei-Zimmer-Wohnung zum Wohlfühlen. Von der kleinen Küche geht eine Tür hinaus zum Innenhof. Wir setzen uns ins Wohnzimmer, welches gleichzeitig das Schlafzimmer der Eltern ist. Sahar strahlt eine Ruhe aus, während sie ihr Baby stillt. Das Baby schläft friedlich ein. Sie erzählt uns ihre Geschichte:

Sie ist eine von sieben Kindern. Mit 15 Jahren wurde Sahar verheiratet. Sie gebar ihre erste Tochter mit 16 Jahren, dem Jahr, indem ihre Mutter bei der Geburt ihres jüngsten Bruders verstarb. Ab diesem Zeitpunkt kümmerte sie sich sowohl um ihre eigene kleine Familie, als auch um ihre Geschwister und ihren Vater.

Ein 40-jähriger Nachbar belästigte Sahar drei Jahre lang. Immer wieder stellte er ihr nach, wollte, dass sie sich von ihrem Mann trennte und setze sie unter Druck. Sahar sollte zu ihm ziehen und seine Frau werden. Er drohte, ansonsten ihre Familie, ihren Mann oder ihre Tochter umzubringen. Sie und ihr Ehemann litten unter extremer Angst und beschlossen, von der Provinz Daikondi nach Kabul zu ziehen. Hier fanden sie keine Arbeit und so verließen sie Kabul und gingen in den Iran. Im Iran lebten sie 13 Jahre, und Sahar gebar zwei Söhne. Im Iran arbeitete ihr Mann in verschiedenen Bereichen, meist Gelegenheitsjobs auf dem Bau. Sahar arbeitete als Näherin.

Afghanen im Iran genießen wenig Rechte. Die Kinder durften keine Schule besuchen, und so zahlten die Eltern einem anderem Afghanen Geld, der dafür ihre Kinder unterrichtete. Das Leben im Iran wurde beschwerlicher, und sie beschlossen nach Europa zu gehen. Vom Iran gelangten sie zu Fuß und mit dem Auto in die Türkei, wo sie knapp einen Monat verbrachten.

Sie stiegen in ein Schlepperboot nach Griechenland. Die griechische Polizei entdeckte das Schlepperboot auf dem Meer und brachte es zurück in die Türkei. Erst beim dritten Anlauf gelang die Flucht nach Samos. Die Überfahrt im Schlauchboot war für Sahar der beängstigendste Teil der gesamten Flucht. Sie saßen jedes Mal in einem völlig überfüllten Schlauchboot. Die Menschen im Boot waren verzweifelt und weinten laut.

Im Camp in Samos lebten sie 18 Monate, bis Uschi kam und ihnen die Wohnung vermittelte, in der wir jetzt zusammensitzen. Hier kommen sie endlich zur Ruhe. Die Kinder und die Eltern besuchen Sprachkurse. Alle sind bemüht so viel zu lernen, wie sie können. Ihr Ziel ist es, sobald sie können, auf das Festland zu ziehen.

„Uschi“

Ursula Wohlgefahrt lebt auf Samos und kümmert sich „hauptamtlich“ um gestrandete Flüchtlinge – Menschen, die zwar eine Anerkennung als Asylberechtigte haben, aber kein Geld, keine Unterkunft und keine Ausreisepapiere. Für Space-Eye betreibt „Uschi“ auf Samos ein Housing-Project, das inzwischen rund 90 Menschen Unterkunft bietet.