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Milad

Milad

Flüchtlingslager sind kein Ort zum Leben

Wir nehmen Euch mit ins Jahr 2021. Wir laufen und klettern über Gestrüpp und Steinschutt den Berg hinauf. Milad ist 18 Jahre alt und erzählt uns auf dem Weg zum Lagerplatz seiner Familie etwas über sich und seine Familie. Sie leben bereits seit zwei Jahren in dem Lager, das sich in direkter Nähe zu der kleinen Hauptstadt der Insel Samos befindet. Schaut man von einem höheren Punkt von gegenüber auf das Lager, fällt es dem Auge schwer zu erfassen, was es sieht: eine unübersichtliche Anzahl von Baracken, Zelten, dürftig zusammen genagelten Hütten zieht sich den steilen Hang hinauf, dazwischen ein Zaun mit Maschendraht. Es scheint keine Struktur zu geben und zwischen den Hütten wimmeln Menschen herum.

Angelegt war der Kern des Lagers für 650 Menschen, in Hochzeiten sind es rund 8.000, die hier leben. Hier leben müssen. Denn verlassen dürfen sie die Insel nicht bevor ihr Asylverfahren positiv beschieden wurde und die Papiere erstellt sind. Und dass kann bei einer Ankunft in 2018 oder 2019 Jahre dauern. Jahre bis zur ersten Anhörung.

Auch Milads Familie wohnt im sogenannten Dschungel, dem nicht offiziellen Lagerbereich, in einem Konstrukt aus Pfählen und Planen, gebaut auf Stelzen, um dem Schlamm, der sich im Winter oder bei Regen bildet, etwas entkommen zu können. So gut es geht haben Sie sich den Bereich eingerichtet, mit alten Teppichen auf dem Boden, und sogar einer Glühbirne im Schlafbereich, betrieben von einer Solarzelle, die irgendjemand gespendet hat. Seine Mutter und seine Schwestern kochen draußen und spülen das Geschirr mit Wasser aus einer Regentonne. Fließendes Wasser oder Strom gibt es nicht. Wir können uns nicht vorstellen, was aus diesem Ort nachts wird, wenn das Tageslicht fehlt. Die Toiletten, sagen die Menschen, die Toiletten sind dann das Schlimmste.

Milads Familie ist gastfreundlich, freut sich, dass wir gekommen sind. Milads Mutter kocht uns Chai, hat Plastikstühle besorgt, auf denen wir sitzen können. Die Familie wird bald in eine Wohnung von Space-Eye Hellas umziehen. Anders als die anderen Lagerbewohner, zumindest anders als für einen Großteil von ihnen. Denn das neue Lager in den Bergen ist Mitte September 2021 bezugsfertig. Fertig war es eigentlich schon lange, aber irgendwie gab es Probleme mit der Wasserversorgung für mehrere Tausend Menschen, die hier untergebracht werden sollen. Und dieses Lager soll die Blaupause für die anderen Hotspots auf den griechischen Inseln werden.

Wir springen in die Gegenwart. Es ist 2023, das neue Lager ist seit ungefähr 1,5 Jahren geöffnet. Es heißt: CCAC – Closed Controlled Access Center. Vieles erscheint auf den ersten Blick besser. Es gibt Container, keine Zelte oder zusammen gezimmerte Hütten mehr. Die Container können geheizt werden, drinnen gibt es wenig, aber zumindest ein Bett für jeden. Die Struktur ist klar, es gibt Wege und offene Plätze, sogar einen Sportplatz. Die Sanitäranlagen werden oft gereinigt.

Und doch ist das neue Lager erschreckend anzusehen. Natürlich waren wir nicht drin. Niemand darf aktuell hinein. Niemand außer dem Sicherheitspersonal und den Flüchtlingen, die hier leben müssen. Wir sind mitten in den Bergen, ungefähr zwei Stunden Fußmarsch von der Stadt entfernt. Es gibt einen hohen Zaun mit Stacheldraht, Sicherheitsschleusen, kein Baum, kein Grün. Und es gibt nichts zu tun, nichts außer Warten. Irgendwann kann man über einen der riesigen Lautsprecher ausgerufen werden. Denn Termine gibt es nicht oder man erfährt sie nicht. Und wenn man dann nicht da ist? Denn tagsüber darf man das Camp verlassen, wenn man nicht ganz neu hier ist. Dann heißt es weiter warten, auf die nächsten Slot, wann immer der sein mag.

Die Sicherheit hat zugenommen, sagt uns eine junge Frau, die im alten und neuen Camp leben musste. Die Sicherheit gegenüber Menschen, die nachts ausrasten oder von außen kommen, um zu randalieren. Aber die Gewalt von offiziellen Stellen ist unberechenbar geworden. Sie kommen, wann sie wollen, sagt die junge Frau, und sie sind aggressiv, machen uns schreckliche Angst, schlagen die Männer und drohen uns, mit uns Frauen das Gleiche zu tun, wenn wir schreien. Die NGO „I have rights“ hat diese Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Passiert ist bisher nichts.

Der Asylprozess hat sich verbessert, ist viel schneller geworden. Für die meisten zumindest. Aber wenn der Antrag einmal positiv entschieden ist, muss man das Camp verlassen – und erhält keine Unterstützung mehr, nicht in Bezug auf eine Unterkunft und auch nicht für das tägliche Überleben. Gerade deshalb ist das Housingprojekt von Space Eye Hellas so wichtig. „Ich hätte nicht gewusst wohin“, sagt die junge Frau, „ich hätte auf der Straße oder in Abrissgebäuden schlafen müssen und aus Mülltonnen leben“. Viele ziehen weiter nach ihrem Asylbescheid, gehen auf das Festland, versuchen sich zu Freunden und Verwandten durchzuschlagen. Aber nicht so selten gibt es Probleme: nicht alle Familienmitglieder erhalten gleichzeitig Schutz, nicht alle Papiere sind zusammen, um auch die Reiseunterlagen zu erhalten und nicht zu vergessen: es entsteht eine zeitliche Lücke zwischen dem Bescheid, dem gezwungenermaßen veranlassten Verlassen des Camps und der Aushändigung der Papiere. Das können ein paar Wochen sein, es können aber auch Monate sein. Und Arbeit ist rar auf der Insel, außerhalb der Saison quasi nicht vorhanden.

Ja, vieles erscheint auf den ersten und zweiten Blick deutlich geordneter, aber ein Gefängnis bleibt es, das neue Lager auf Samos. Und das vergleichbare Lager auf Lesbos ist auch schon fertig gestellt. Nur dass es auch hier ein Problem gibt: die Wasserversorgung.

Das Projekt darf nicht enden! Sie möchten Space Eye Hellas unterstützen?

https://www.betterplace.org/de/projects/108378-health-network

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Dokumentation von der Deutschen Welle, 2021 zum Umzug ins neue Camp auf Samos:

https://www.dw.com/de/das-neue-fl%C3%BCchtlingslager-auf-samos-eine-kleinstadt-hinter-stacheldraht/a-59265243

Film Space-Eye vom alten Camp auf Samos:

https://www.youtube.com/watch?v=sSESfahLOsg&t=5s

 

Sahar

Sahar

Vielleicht werden wir irgendwann ankommen. Irgendwo.

Wir blicken immer wieder auch auf Erfahrungen mit Menschen zurück, die uns bereits verlassen haben und fragen uns, was aus ihnen geworden sein mag. Denn nicht immer wissen wir, wie es weitergegangen ist, wenn sie die Insel und das Projekt Space-Eye Hellas verlassen haben. 

So geht es uns auch mit einer afghanischen Familie, die aus dem Camp in eine unserer Projektwohnungen gezogen ist. Wir erinnern uns an einen Besuch bei der Familie. Wir sitzen in dem kleinen Innenhof, es ist luftig und sehr angenehm an diesem ansonsten so heißen Tag.

Die junge Mutter der Familie heißt Sahar. Ihr jüngstes Kind, ein erst zwei Monate altes Baby, schläft in seinem Bettchen drinnen. Das Baby trägt ein Kleid, dass Sahar selbst genäht hat wie sie uns stolz erzählt. 

Zwei Monate alt? Das heißt, dass das Baby auf Samos geboren wurde. Als die Familie noch im Camp wohnte. Wie wird das wohl gewesen sein? 

Die Mutter erkrankte zwei Monate vor der Geburt an Corona. Die ganze Familie musste in einen isolierten Container im Camp. Natürlich, denken wir uns, das ist ja normal. Aber die Quarantänezone im Camp ist noch gefürchteter als der Rest der Container. Sicher hat das auch mit dem noch stärkeren Gefühl zu tun, eingeschlossen zu sein. Glücklicherweise ging auch dies vorüber. 

Sahar zeigt uns die Wohnung. Sie ist sauber und ordentlich. Eine kleine Zweizimmerwohnung. Und ganz für die Familie alleine. Normal? Vielleicht für uns, die wir dies hier lesen. Aber nicht, wenn man Monate, Jahre auf der Flucht in provisorischen Unterkünften und Flüchtlingscamps gehaust hat. Dann ist das hier ein Luxus. Denn Privatsphäre ist Luxus für Flüchtlinge. 

Sahar stillt das Baby, ganz konzentriert, ganz ruhig. Dann erzählt sie uns ihre Geschichte: Sie ist eines von sieben Kindern. Mit 15 Jahren wurde Sahar verheiratet. Sie gebar ihre erste Tochter mit 16 Jahren. Dem Jahr, indem ihre Mutter bei der Geburt ihres jüngsten Bruders verstarb. Von nun an kümmert sie sich sowohl um ihre eigene kleine Familie als auch um ihre Geschwister und ihren Vater. 

Ein älterer Nachbar belästigt Sahar drei Jahre lang. Immer wieder stellt er ihr nach, will, dass sie sich von ihrem Mann trennt und setzt sie unter Druck. Sahar soll zu ihm ziehen und seine Frau werden. Er droht ihr und der Familie, sagt, dass er ihren Mann oder ihre Tochter umzubringen wird, wenn sie nicht tut, was er will. Sie und ihr Ehemann haben immer mehr Angst, nehmen die Drohungen ernst. Sie wären nicht die ersten, denen etwas passiert. Die Regierung und die Polizei bieten keinen Schutz. 

So beschließen sie von der Provinz Daikondi nach Kabul zu ziehen. Hier wird der Nachbar sie nicht finden. Aber es ist schwierig durchzukommen. Egal, was sie versuchen, sie finden keine Arbeit und so verlassen sie Kabul schließlich und ziehen weiter in den Iran. Viele Afghanen leben im Iran, manche sind dort geboren und waren nie in Afghanistan. Sahar und ihre Familie bleiben 13 Jahre dort und Sahar bekommt zwei Söhne. 

Ihr Mann findet Arbeit, meist Gelegenheitsjobs auf dem Bau. Sahar arbeitet als Näherin. Aber Afghanen genießen im Iran wenig Rechte und werden von für uns normalen Dingen wie Gesundheitswesen und Bildung meist ausgeschlossen. So dürfen Sahars Kinder keine Schule besuchen. Mit dem bisschen Geld, dass sie verdienen, zahlen die Eltern einen anderen Afghanen dafür, dass er ihre Kinder unterrichtet. 

Das Leben im Iran wird immer beschwerlicher. Sie sehen keine Zukunft und können auch nicht zurück nach Afghanistan, wo die politische Lage immer unübersichtlicher wird. Sie beschließen nach Europa zu gehen. 

Und so machten sie sich auf den Weg. Zu Fuß und manchmal mit einem Auto, das sie mitnahm, gelangten sie in die Türkei. In der Türkei blieben sie knapp einen Monat bis sie in ein Schlepperboot nach Griechenland stiegen. Welche Ängste mögen sie ausgestanden haben mit drei Kindern auf dem Meer? Sahar sagt, es war so laut im Boot. Und eng. Viel zu viele Menschen sind eingestiegen. Sie waren verzweifelt und weinten so laut. 

Und wieder wiederholt sich die Geschichte, die wir so oft gehört haben: die griechische Polizei entdeckt das Schlepperboot auf dem Meer und bringt es zurück in die Türkei, obwohl sie schon fast angekommen waren. Erst beim dritten Anlauf gelingt es der Familie auf Samos anzukommen. 

Es sollten 18 Monate im Camp folgen. 18 lange Monate. Und besonders lang, da es auch hätte noch länger sein können. Niemand, der im Camp ankommt, weiß, wie lange er bleiben muss.

Sahar sagt, das sei jetzt vorbei. Ihr Ziel sei es, sobald sie können, auf das Festland zu ziehen. Um dann irgendwann irgendwo anzukommen. 

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Amna

Amna

Wenn der Feind die eigene Familie ist

Der Kongo ist kein einfaches Land, ist es nie gewesen. Googelt man die Situation im Internet, findet man unter anderem dies hier: „Wegen der aktuellen Situation sind im Jahr 2022 über fünf Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. Das sind so viele wie in keinem anderen afrikanischen Land. Vor allem im Osten der DR Kongo sind die Kämpfe blutig.“

Und trotzdem wird es in diesem Beitrag nicht um diesen Konflikt gehen. Es geht um einen manchmal übersehenden und trotzdem anerkannten Fluchtgrund: Der geschlechtsspezifischen Gewalt, insbesondere, wenn die staatlichen Stellen nicht in der Lage oder Willens sind, die Betroffenen zu schützen.

Amna wächst im Kongo auf. Als wir sie treffen, ist dies nicht im Kongo, sondern in einer kleinen Wohnung, von Space-Eye Hellas angemietet, in Athen. Zu diesem Zeitpunkt hat Amna vier Kinder.

Geboren wurde sie in einem kleinen Dorf in der Provinz Bangala. Die Familie zieht, als sie noch klein ist, in die Hauptstadt Kinshasa. Ihre Mutter ist die zweite Frau ihres Vaters, der zu diesem Zeitpunkt insgesamt mit drei Frauen verheiratet ist. Doch ihre Mutter verlässt die Familie und kurz darauf verstirbt der Vater. Amna ist gerade einmal zehn Jahre alt, als ihr Leidensweg beginnt. Die dritte Frau ihres Vaters nennt sie eine Hexe, macht sie öffentlich für den Tod des Vaters verantwortlich und sagt auch, dass die Mutter ihretwegen weggelaufen sei.

Leider kommt es nicht so selten vor, dass Kinder als Hexen bezeichnet werden und dann von allen gemieden werden. Und so geht es auch Amna. Sie wird isoliert und schließlich vertrieben. Amna schlägt sich alleine zu ihrer Großmutter durch, die sie zumindest als Dienstmagd beherbergt. Amna muss sich ihr Essen verdienen. Manchmal darf sie im Haus schlafen, oft aber auch nicht.

Eines Nachts, Amna ist dreizehn Jahre alt, übernachtete sie in einem unverschlossenen Schulgebäude. Irgendwelche Kerle dringen ein und vergewaltigten sie. Sie wird von ihrer Großmutter abgewiesen und vertrieben, lebt nun ganz auf der Straße. Und: Amna ist schwanger geworden, weiß nicht so richtig, was mit ihr und ihrem Körper geschieht. Sie trifft auf eine Gruppe Mädchen und junger Frauen und schließt sich ihnen an. Wenn nichts mehr geht, verdienen sie ihren Lebensunterhalt durch Prostitution. Im Kreis dieser Frauen bringt Amna ihr erstes Kind zur Welt. Doch sie kann es nicht ernähren, gibt es in ihrer Verzweiflung zur Großmutter.

Amna ist sehr hübsch. Eine Organisation, die Modeschauen veranstaltete, wird auf sie aufmerksam. So arbeitete Amna immer wieder als Model. Sie lernt neue Leute kennen und darunter auch einen jungen Mann, der sich in sie verliebt. Sie heiraten und bekommen zwei Kinder.

Es folgt eine gute Zeit in Amnas Leben. Obwohl sie ihrem Mann die Wahrheit über ihre Vergangenheit erzählt, stößt er sie nicht zurück, sondern holt sogar ihren ersten Sohn von der Großmutter zurück. Ihr Mann verdient gut. Amna weiß nicht genau, womit.

Ihr Mann wird durch das Geld begehrt, bringt immer wieder andere Frauen mit nach Hause. Amna hat nicht mehr das Recht, im eigenen Haus zu sein und nur noch zu sprechen, wenn er es ihr erlaubt.

Eines Tages erhält Amna einen Anruf aus Angola. Ihre Mutter sei krank. Wie sich herausstellen wird, ist sie Opfer eines Anschlags geworden. Man brauche Geld, um die Behandlung bezahlen zu können. Doch sie selbst hat kein eigenes Geld. Ihr Mann, inzwischen auch mit einer anderen Frau verheiratet, will sie nicht unterstützen. Sie verkauft, was sie hat, unter anderem den Goldschmuck von ihrer Hochzeit und schickt das Geld nach Angola. Doch es ist zu spät. Ihre Mutter ist bereits verstorben.

Und wieder wendet sich alles gegen Anma. Ihr Mann behauptet, sie sei schuld am Tod der Mutter. Ihre Verwandten hätten recht gehabt, sie sei eine Hexe. Zuerst habe sie ihren Vater getötet und jetzt auch noch ihre Mutter. Die Situation im Haus wird unerträglich.

Eines Tages sind alle aus dem Haus, ihr Mann bei der Arbeit, die andere Frauen, Besorgungen zu machen. Es erscheinen unbekannte Männer bei Amna. Sie suchen ihren Mann. Amna weiß nicht, wo er ist. Die Männer gehen, kommen aber immer wieder zurück und bedrohen Amna. Sie sagen, sie kommen mit Macheten und töten sie. Die Männer sagen ihr, ihr Mann habe viel Geld genommen. Sie wollten es jetzt zurück. Amna ist außer sich vor Angst. Sie weiß nicht, an wen sie sich wenden soll, um Hilfe zu erhalten.

Als die Männer ein drittes Mal kommen, foltern sie mit der Säure, verätzen ihre Armen. Als sie immer noch nicht das bekommen, was sie wollen, vergewaltigen sie Amna.

Amna weiß, sie werden sie nicht in Ruhe lassen. Und niemand wird ihr beistehen. Dies ist der Moment, an dem sie beschließt, mit ihren Kindern das Land zu verlassen. Im Dezember 2015 fliehen in die Türkei. Dort bleiben sie ein paar Monate, eine Tante in Europa schickt ihnen Geld. Im März 2016 kommt Amna mit ihren Kindern in Griechenland an, auf Lesbos. Jetzt muss sie im Elendscamp Moria warten, ob ihr Antrag auf Asyl akzeptiert wird. Ein Jahr bleibt sie auf Lesbos, darf dann weiter nach Athen.

Sie trifft einen Mann, der ihr hilft, eine Wohnung zu mieten. Sie verliebt sich. Und wird erneut schwanger. Doch so ernst war es dem Mann nicht. Er hat andere Freundinnen, hat nicht vor, sich um Amna und sein Kind zu kümmern.

Durch einen Zufall lernt Amna Space-Eye kennen und kann in einer kleinen Wohnung untergebracht werden. Sie erzählt uns, es habe Zeiten gegeben, in denen sie nicht einmal einen Euro hatte, um ihren Kindern Brot kaufen zu können. Jetzt habe sie immer Spaghetti im Haus. Damit die Kinder immer etwas zu essen haben, egal wie schlecht die Situation wieder werden könnte.

Amna möchte alles dafür tun, dass ihre Kinder nicht das Leben haben müssen, das sie selbst hatte. Sie wünscht sich für sie eine gute Schulbildung, einen Job, ein Leben in Freiheit.

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Ashtar

Ashtar

Ashtar findet keine Ruhe

Ashtar ist keine junge Frau mehr. Sie blickt auf 53 Jahre zurück. Und auf viele schlimme Ereignisse in ihrem Leben. Ereignisse, die sie einfach nicht zur Ruhe kommen lassen. Denn Ashtar hat gelernt: Sie gehört nirgends hin und ist immer auf der Flucht. Vor Gewalt, vor Hunger, vor der Angst, dass alles noch schlimmer werden könnte.

Ashtar ist Sunnitin. Sie kommt aus dem Irak, wächst in Bagdad auf. Mit 17 Jahren wird sie verheiratet, mit 18 stirbt ihr erstes Kind. Sie wird weitere Kinder haben, bekommt in den darauffolgenden Jahren zwei. Sie lebt mit ihrem Ehemann zusammen, bis er 1990 in den Wirren des Golfkriegs verschwindet. Verschollen heißt es. Näheres weiß sie nicht, hat nie wieder etwas von ihm oder den Umständen seines Verschwindens gehört.

Wenn es ihnen vorher nicht gut gegangen ist, beginnt jetzt eine harte Zeit voll Hunger und Angst. Ashtar ist auf sich allein gestellt, versucht ihre zwei Kinder und sich irgendwie zu versorgen. Von der Familie erhält sie keine Unterstützung, alle kämpfen ums Überleben, viele sind gegangen.

Die kleine Familie zieht von Ort zu Ort, auf der Suche nach Arbeit für die Mutter. Lebt in Kirkuk und kommt immer wieder nach Bagdad zurück, in der Hoffnung, dass es in der großen Stadt einfacher geht. Irgendwann wird klar: Das ist nicht so und wird sich auch nicht bessern. Ashtar geht mit den Kindern in die Türkei. Sie lernen Türkisch, versuchen anzukommen. Aber die Gelegenheitsarbeiten, die Ashtar übernimmt, reichen nicht aus, vor allem nicht, damit die Kinder in die Schule gehen können und eine bessere Zukunft haben können.

Es dauert viele Jahre, bis Ashtar das Geld zusammengespart hat, um weiterzuziehen. Sie schließt sich einer Gruppe an und schafft es nach Samos. Die mittlerweile erwachsenen Kinder kommen nicht mit ihr, bleiben letztlich in der Türkei.

Ein und ein halbes Jahr muss sie allein im Camp leben, bis sie es verlassen darf. Trifft auf Space-Eye Hellas und Uschi und zieht mit einer anderen, alleinstehenden Frau in ein Studio von Space-Eye.

Ashtar plagt sich mit gesundheitlichen Problemen, sie wirkt unglücklich. Sie sagt, sie wünsche sich nichts sehnlicher, als anzukommen. In einem Land, wo sie bleiben kann. Deutschland, sagt sie, vielleicht.

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Popi

Popi

Wir haben vier Jahre in Ruanda gelebt

Diese Geschichte von Space-Eye Hellas führt uns in die Vergangenheit. Popi weiß, wovon sie spricht. Denn sie war als kleines Mädchen Flüchtling und musste die Insel Samos 1942 verlassen. Und Jahre später musste sie auch wieder zurückkommen. Beides, obwohl sie es so nicht gewollt hat. Und dann auch noch nach Ruanda? Erinnert Euch das an die neuesten Nachrichten aus England und Dänemark, die Ruanda nutzen wollen, um Asylverfahren auszulagern?

Popi ist heute 85 Jahre alt. Sie wohnt in einem kleinen Bergdorf auf Samos, der Insel, auf der sie geboren wurde. Wann immer wir Popi treffen, hat sie ein Päckchen gepackt. Mit Kleidern, Geschirr, Tüchern. Sie sammelt für die Flüchtlinge auf Samos.

Aber nun zur Vergangenheit. Der Zweite Weltkrieg wütet und hat auch die griechischen Inseln erreicht. Bomben fallen, auch wenn Popi sich hieran nicht mehr erinnern kann. Wohl kann sie sich aber daran erinnern, dass ihre Eltern sie und ihre Geschwister und zwei Ziegen gepackt haben und in ein Boot gestiegen sind. Die Mutter hat sogar das Mittagessen mitgenommen, das sie vorbereitet hatte. Bohnen mitsamt der Pfanne. Popi ist die jüngste und ihre Mutter ist schwanger.

Sie wollen auf die andere Seite, in die Türkei, nach Kusadasi, denn da kommt ihr Vater ursprünglich her. Noch glauben sie, dass sie dort bei Verwandten bleiben können. Doch es soll anders kommen. Denn auf der nahen türkischen Seite ist man auf die Flüchtlinge aus Griechenland vorbereitet. Und man will sie dort nicht haben.

Das Rote Kreuz nimmt sie in Empfang – welches, weiß sie nicht. Sie kommen in ein Flüchtlingslager, müssen dort einige Zeit ausharren, bis immer mehr Griechen ankommen. Eines Tages geht die lange Reise los. Von Engländern und Amerikaner ist sie organisiert. Mit dem Zug fahren sie viele Tage und Nächte. Der ganze lange Zug ist voll mit Flüchtlingen. Dann geht es in einem Hafen auf ein Schiff, ein großes Kriegsschiff, und auch dieses ist voll mit Flüchtlingen aus Griechenland. „40 Tage und 40 Nächte“ soll ihre Mutter immer gesagt haben, so lange seien sie auf dem Meer unterwegs gewesen. Bis nach Afrika. Dort wieder in einen Zug, der sie nach Tagen nach Ruanda bringt, das damals noch mit Burundi vereint war.

Die Überraschung war groß! Es gab ein Dorf. Mit kleinen Häusern, einer griechischen Kirche, Versammlungsorten und einer Mauer drumherum. Als Kind nimmt sie keine Mauer wahr. Nur viele Kinder, die wie sie neu hier sind und sich schnell anfreunden. Auch Kinder aus den umliegenden Dörfern lernen sie kennen. Auch, wenn sie nicht zusammen in die Schule gehen dürfen.

Sie erinnert sich gerne an diese Zeit. Erinnert sich an die üppigen Früchte, die sie ernten und essen. Daran, dass sie morgens die griechische und die belgische Nationalhymne gesungen haben. Noch heute kann sie Teile der belgischen und singt sie uns vor. Eine unbeschwerte Zeit, das ist das, woran sie sich erinnert. Auch wenn dies für die Erwachsenen wahrscheinlich nicht so gewesen sein mag. Sie dürfen nur im Flüchtlingsdorf arbeiten. Ihr Vater betreibt bald ein kleines Kafeneon. Ihre Mutter verliert aufgrund der Strapazen das ungeborene Kind. Alle haben immer wieder Malaria und sind schwer krank.

Sie erinnert sich an den Besuch der belgischen Königin. Und an Spendenkisten aus Amerika. Auch wenn alle Häuser genau gleich sind, fühlt sie sich wie in einem wärmeren Griechenland, versteht die Sprache der anderen und geht mit ihnen jeden Tag zur Schule.

Ihre jüngere Schwester wird im Camp geboren, die Familie hat sich eingelebt. Doch eines Tages ist der Krieg vorbei. Es dauert noch eine Weile, aber dann müssen sie zurück, sie haben keine Wahl. Und wieder werden sie in einen Zug gesetzt, der sie zu einem Schiff bringt, das sie viele Tage über das Meer fährt und auf der anderen Seite in einen Zug entlässt, der quer übers Land fährt. Zuletzt gibt es eine Fähre und die Griechen sind zurück auf Samos.

Aber der Schock ist groß, als sie zurück in ihr Dorf kommen. Alles ist geplündert, ihr Haus gibt es nicht mehr. Niemand hatte sie informiert, denn niemand hatte überhaupt geglaubt, dass sie noch lebten. Und eine Alternative hätten sie ohnehin nicht gehabt.

Nichts habe es gegeben. Nichts zu essen, keine Seife, kein Dach über dem Kopf. Und Unruhen im griechischen Bürgerkrieg seien bald ausgebrochen. Sie erinnert sich, dass ihre Mutter sie eines Morgens hinausschickt, um etwas zu essen zu finden, denn sie hat nichts, was sie ihr geben kann. Popi sucht nach Obst oder Gemüse, aber sie findet nichts. Da sieht sie die Triebe an einer Rose und isst sie. Als sie wieder zu ihrer Mutter kommt, erzählt sie ihr von der Rose. Die Mutter setzt sie auf eine Tischkante und fragt sie, ob sie Bauchschmerzen habe. Nein, sagt Popi. „Dann warte noch eine halbe Stunde hier. Und wenn Du immer noch keine Bauchschmerzen hast, gehst Du hinaus und holst auch noch die anderen Triebe der Rose!“

Abends betet die Mutter am Bett der Kinder: „Herr, mach, dass die Nacht lange dauert, denn ich weiß nicht, was ich den Kindern am neuen Tag zu essen geben soll!“

Popis Leben wird turbulent sein. Sie geht in die Schweiz, lebt dort über 30 Jahre und arbeitet sich als Schneiderin hoch. Nur in den besten Geschäften sei sie tätig gewesen und zeigt uns die antiken Nähmaschinen, die sie heute noch hat. Hat einen Freund in der Schweiz, der aber nichts davon wissen will, im Alter auf Samos zu leben. Sie ist heute zurück. Hat ein kleines Haus für sich gebaut. Und eines für ihren Sohn und dessen Familie. Sie ist noch einmal nach Ruanda zurückgekehrt. Mit ihrer Mutter als diese 80 Jahre alt war. Um die Schwester zu besuchen, die Jahre nach dem Krieg dorthin ausgewandert ist.

Ob es ein Zufall ist, dass Ruanda wieder als Ort im Gespräch ist, um Flüchtlinge ohne ihr Wissen oder ihren Willen dorthin zu bringen, konnten wir nicht herausfinden. Davon gehört hatten wir vor unserem Gespräch mit Popi noch nie.

An einem Abend treffen wir uns mit ihr und einer unserer ehemaligen Projektteilnehmerinnen, die aus dem heutigen Burundi stammt. Sie hat schreckliches Leid erfahren und blickt auf Burundi sicher deutlich weniger nostalgisch, als Popi es im Rückblick tut. Doch unsere Anspannung ist unbegründet. Die beiden sitzen auf der Couch, trinken Tee und singen Lieder in einer Sprache, die nur die beiden verstehen. Und dass das so ist, liegt an Popi, die nie vergessen hat, was es bedeutet, ein Flüchtling zu sein.

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