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Wir haben vier Jahre in Ruanda gelebt

Diese Geschichte von Space-Eye Hellas führt uns in die Vergangenheit. Popi weiß, wovon sie spricht. Denn sie war als kleines Mädchen Flüchtling und musste die Insel Samos 1942 verlassen. Und Jahre später musste sie auch wieder zurückkommen. Beides, obwohl sie es so nicht gewollt hat. Und dann auch noch nach Ruanda? Erinnert Euch das an die neuesten Nachrichten aus England und Dänemark, die Ruanda nutzen wollen, um Asylverfahren auszulagern?

Popi ist heute 85 Jahre alt. Sie wohnt in einem kleinen Bergdorf auf Samos, der Insel, auf der sie geboren wurde. Wann immer wir Popi treffen, hat sie ein Päckchen gepackt. Mit Kleidern, Geschirr, Tüchern. Sie sammelt für die Flüchtlinge auf Samos.

Aber nun zur Vergangenheit. Der Zweite Weltkrieg wütet und hat auch die griechischen Inseln erreicht. Bomben fallen, auch wenn Popi sich hieran nicht mehr erinnern kann. Wohl kann sie sich aber daran erinnern, dass ihre Eltern sie und ihre Geschwister und zwei Ziegen gepackt haben und in ein Boot gestiegen sind. Die Mutter hat sogar das Mittagessen mitgenommen, das sie vorbereitet hatte. Bohnen mitsamt der Pfanne. Popi ist die jüngste und ihre Mutter ist schwanger.

Sie wollen auf die andere Seite, in die Türkei, nach Kusadasi, denn da kommt ihr Vater ursprünglich her. Noch glauben sie, dass sie dort bei Verwandten bleiben können. Doch es soll anders kommen. Denn auf der nahen türkischen Seite ist man auf die Flüchtlinge aus Griechenland vorbereitet. Und man will sie dort nicht haben.

Das Rote Kreuz nimmt sie in Empfang – welches, weiß sie nicht. Sie kommen in ein Flüchtlingslager, müssen dort einige Zeit ausharren, bis immer mehr Griechen ankommen. Eines Tages geht die lange Reise los. Von Engländern und Amerikaner ist sie organisiert. Mit dem Zug fahren sie viele Tage und Nächte. Der ganze lange Zug ist voll mit Flüchtlingen. Dann geht es in einem Hafen auf ein Schiff, ein großes Kriegsschiff, und auch dieses ist voll mit Flüchtlingen aus Griechenland. „40 Tage und 40 Nächte“ soll ihre Mutter immer gesagt haben, so lange seien sie auf dem Meer unterwegs gewesen. Bis nach Afrika. Dort wieder in einen Zug, der sie nach Tagen nach Ruanda bringt, das damals noch mit Burundi vereint war.

Die Überraschung war groß! Es gab ein Dorf. Mit kleinen Häusern, einer griechischen Kirche, Versammlungsorten und einer Mauer drumherum. Als Kind nimmt sie keine Mauer wahr. Nur viele Kinder, die wie sie neu hier sind und sich schnell anfreunden. Auch Kinder aus den umliegenden Dörfern lernen sie kennen. Auch, wenn sie nicht zusammen in die Schule gehen dürfen.

Sie erinnert sich gerne an diese Zeit. Erinnert sich an die üppigen Früchte, die sie ernten und essen. Daran, dass sie morgens die griechische und die belgische Nationalhymne gesungen haben. Noch heute kann sie Teile der belgischen und singt sie uns vor. Eine unbeschwerte Zeit, das ist das, woran sie sich erinnert. Auch wenn dies für die Erwachsenen wahrscheinlich nicht so gewesen sein mag. Sie dürfen nur im Flüchtlingsdorf arbeiten. Ihr Vater betreibt bald ein kleines Kafeneon. Ihre Mutter verliert aufgrund der Strapazen das ungeborene Kind. Alle haben immer wieder Malaria und sind schwer krank.

Sie erinnert sich an den Besuch der belgischen Königin. Und an Spendenkisten aus Amerika. Auch wenn alle Häuser genau gleich sind, fühlt sie sich wie in einem wärmeren Griechenland, versteht die Sprache der anderen und geht mit ihnen jeden Tag zur Schule.

Ihre jüngere Schwester wird im Camp geboren, die Familie hat sich eingelebt. Doch eines Tages ist der Krieg vorbei. Es dauert noch eine Weile, aber dann müssen sie zurück, sie haben keine Wahl. Und wieder werden sie in einen Zug gesetzt, der sie zu einem Schiff bringt, das sie viele Tage über das Meer fährt und auf der anderen Seite in einen Zug entlässt, der quer übers Land fährt. Zuletzt gibt es eine Fähre und die Griechen sind zurück auf Samos.

Aber der Schock ist groß, als sie zurück in ihr Dorf kommen. Alles ist geplündert, ihr Haus gibt es nicht mehr. Niemand hatte sie informiert, denn niemand hatte überhaupt geglaubt, dass sie noch lebten. Und eine Alternative hätten sie ohnehin nicht gehabt.

Nichts habe es gegeben. Nichts zu essen, keine Seife, kein Dach über dem Kopf. Und Unruhen im griechischen Bürgerkrieg seien bald ausgebrochen. Sie erinnert sich, dass ihre Mutter sie eines Morgens hinausschickt, um etwas zu essen zu finden, denn sie hat nichts, was sie ihr geben kann. Popi sucht nach Obst oder Gemüse, aber sie findet nichts. Da sieht sie die Triebe an einer Rose und isst sie. Als sie wieder zu ihrer Mutter kommt, erzählt sie ihr von der Rose. Die Mutter setzt sie auf eine Tischkante und fragt sie, ob sie Bauchschmerzen habe. Nein, sagt Popi. „Dann warte noch eine halbe Stunde hier. Und wenn Du immer noch keine Bauchschmerzen hast, gehst Du hinaus und holst auch noch die anderen Triebe der Rose!“

Abends betet die Mutter am Bett der Kinder: „Herr, mach, dass die Nacht lange dauert, denn ich weiß nicht, was ich den Kindern am neuen Tag zu essen geben soll!“

Popis Leben wird turbulent sein. Sie geht in die Schweiz, lebt dort über 30 Jahre und arbeitet sich als Schneiderin hoch. Nur in den besten Geschäften sei sie tätig gewesen und zeigt uns die antiken Nähmaschinen, die sie heute noch hat. Hat einen Freund in der Schweiz, der aber nichts davon wissen will, im Alter auf Samos zu leben. Sie ist heute zurück. Hat ein kleines Haus für sich gebaut. Und eines für ihren Sohn und dessen Familie. Sie ist noch einmal nach Ruanda zurückgekehrt. Mit ihrer Mutter als diese 80 Jahre alt war. Um die Schwester zu besuchen, die Jahre nach dem Krieg dorthin ausgewandert ist.

Ob es ein Zufall ist, dass Ruanda wieder als Ort im Gespräch ist, um Flüchtlinge ohne ihr Wissen oder ihren Willen dorthin zu bringen, konnten wir nicht herausfinden. Davon gehört hatten wir vor unserem Gespräch mit Popi noch nie.

An einem Abend treffen wir uns mit ihr und einer unserer ehemaligen Projektteilnehmerinnen, die aus dem heutigen Burundi stammt. Sie hat schreckliches Leid erfahren und blickt auf Burundi sicher deutlich weniger nostalgisch, als Popi es im Rückblick tut. Doch unsere Anspannung ist unbegründet. Die beiden sitzen auf der Couch, trinken Tee und singen Lieder in einer Sprache, die nur die beiden verstehen. Und dass das so ist, liegt an Popi, die nie vergessen hat, was es bedeutet, ein Flüchtling zu sein.

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