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Wie viel ein Mensch ertragen muss: Nishimbes Geschichte

Nishimbe kommt aus Burundi, einem Land im Osten von Afrika. Sucht man nach „das ärmste Land der Welt“ im Internet, erscheint auf Platz 1: Burundi. Seit über hundert Jahren bekämpfen sich Hutu und Tutsi. Nishimbe ist Tutsi. Einige von Euch erinnern sich vielleicht an ihre Geschichte, die hier veröffentlicht wurde, dieses hier ist die Fortsetzung. Denn Nishimbe ist noch immer auf Samos.

In der Vergangenheit lebt sie mit ihren Eltern und Geschwistern in der burundischen Hauptstadt Bujumbara. Ihre Mutter hat zu dieser Zeit einen kleinen Stand auf dem örtlichen Markt. Der Vater ist Fahrer für Politiker der Oppositionspartei. Immer wieder gibt es Einschränkungen für die Kinder, schließlich wird es zu gefährlich, die Schule zu besuchen.

Eines Abends dringt eine bewaffnete, vermummte Gruppe mit burundischen Polizisten in das Haus der Familie ein. Alle müssen sich in einem Raum versammeln. Nishimbe muss sich entblößen. Sie wird brutal vor den Augen ihrer Familie vergewaltigt. Als der Vater sich wehrt, wird er mit zwei Kugeln in die Brust erschossen. Dem Bruder und schließlich auch der Mutter ergeht es so. Die Polizei nimmt die drei Leichname mit, Nishimbe und ihre Schwester werden einfach im Raum zurückgelassen.

Sicher denkt ihr jetzt als Lesende, dass der schlimmste Teil von Nishimbes Geschichte hinter Euch liegt. Aber leider funktioniert es so oft nicht und die Welt erscheint nicht gerecht mit Menschen, die Schlimmes erleiden müssen.

Nishimbe und ihre Schwester kommen über Umwege in ein Heim nach Uganda, die Schwester geht zur Schule, Nishimbe arbeitet als Hausmädchen. Eines Tages kommt ein Mann in das Heim, erzählt Nishimbe von der Türkei, von den Möglichkeiten dort. Dass es Arbeit gebe, dass sie einfach nur mitkommen müsse, er würde alles organisieren.

Doch die Arbeit in der Türkei stellt sich als Zwangsprostitution heraus. Aus purem Glück findet Nishimbe einen Menschen, der ihr hilft zu entkommen. Sie sagt, sie sei ihm ewig dankbar dafür.

Nishimbe lässt sich nicht unterkriegen, findet Arbeit in Fabriken und Restaurants, kann ihrer Schwester, die im Heim in Uganda geblieben ist, sogar etwas Geld schicken.

Andere Flüchtlinge erzählen ihr von Europa. Was dort besser sein solle. Dass es in der Türkei keine Zukunft gibt, merkt sie selbst bald. Gar nicht weit entfernt sei die europäische Außengrenze über das Meer. Nishimbe findet einen Schlepper, bezahlt 900 € und macht sich auf den Weg nach Lesbos.

Und sie kommt an. Es war windig, es war beängstigend im kleinen Boot. Sie ist völlig durchnässt. Aber sie ist auf Lesbos. Es ist Oktober 2020.

Aber die Überfahrt und alles davor waren hart, seelisch, aber auch körperlich. Zu hart für ihren geschwächten Körper. Sie hat das Gefühl, sich nicht mehr bewegen zu können. Schleppt sich ins nächste Gebüsch, bleibt zwei Tage dort liegen. Dann rafft sie sich auf, geht zur nächsten Straße, findet Fischer, die ihr den Weg zeigen bis zur Landstraße.

Ein Bus hält an. Griechische Polizei, wird sie später erfahren. Auf einem Feld müssen sich Nishimbe und die anderen Flüchtlinge, die bereits im Bus saßen, aussteigen. Männer auf die linke Seite, Frauen auf die rechte. Alle müssen sich nackt ausziehen. Geld, Rücksäcke, Handys – alles abgeben. Die Uniformierten ziehen ihre Gürtel aus. Schlagen auf die nackten, frierenden Menschen ein.

Noch nicht genug, müssen sie wieder einsteigen, dürfen sich zumindest anziehen. Sie werden zum Hafen gebracht. Dort mit einem Boot zu Schlauchbooten gebracht, mitten ins Meer. Die Begleiter fahren ab, die Boote treiben ziellos im Meer. Stunden später werden sie von der türkischen Küstenwache gesichtet. Und müssen zurück in die Türkei.

Wer immer sich bisher gefragt hat, was ein Pushback ist, weiß es jetzt. Denn leider ist Nishimbes Geschichte kein Einzelfall, egal, was behauptet wird.

Nishimbe ist körperlich in einem so schlechten Zustand, dass sie drei Monate in einem Krankenhaus in Izmir aufgepäppelt werden musste. Bis heute hat sie sich nicht alles regeneriert, geblieben ist ihr ein hinkender Gang.

Aber dieser Pushback ist nicht unbeachtet geblieben. Ein Anwalt aus Athen meldet sich bei Nishimbe. Mit seiner Hilfe klagt sie gegen das Vorgehen der Polizei und von Frontex beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Klage ist immer noch anhängig. Und mittlerweile gibt es mehrere Klagen von Flüchtlingen. Aktuell wird gerade der Fall einer syrischen Familie verhandelt, die in der Annahme, sie würden aufs Festland fliegen, in ein Flugzeug einstiegen und in der Türkei gelandet sind. Aber das sind Einzelfälle. Die Klagen, nicht die Pushbacks.

Im Juli 2021 entscheidet sich Nishimbe nochmals für eine Überfahrt nach Europa, sie landete nun auf Samos. Ihr wird plötzlich Asyl gewährt. Sie wird in das Space-Eye Hellas Housing-Projekt aufgenommen und bewohnt ein kleines 1-Zimmer-Appartment.

Es ist April 2023. Was ist aus Nishimbe geworden?

Nishimbe wohnt immer noch in dem 1-Zimmer-Appartment, kann es jetzt aber selbst bezahlen. Seit einiger Zeit arbeitet sie als Übersetzerin bei Medicine Sans Frontière. Sie übersetzt für die Ärzte Lingala und Französisch ins Englische. In Vollzeit und sie wird dafür bezahlt. Große Sprünge kann sie damit nicht machen, aber zumindest kann sie sich selbst versorgen.

Sie will noch mal zurück nach Lesbos, sagt, sie glaube, sie brauche das, um zu verarbeiten, was ihr dort passiert ist. Sie möchte den Strand noch einmal sehen dort, an dem sie angekommen ist. Ich sage ihr, dass ich es mit ihr machen werde, wenn ich selbst zurückkomme nach Griechenland, im Herbst.

Deutschland, sagt sie, dorthin würde sie gerne einmal fahren. Und vielleicht auch bleiben. Sie hätte gehört, es gäbe dort die Möglichkeit zu studieren, mehr aus dem eigenen Leben zu machen. Sie sagt das mit voller Energie in der Stimme.

Später sitzen wir zusammen. Irgendjemand von uns fragt, ob sie nun genug Geld verdiene, um die Schwester zu versorgen oder sie sogar herzuholen. Nach Samos. In Sicherheit.

Nishimbe schweigt einen Moment. Vielleicht, sagt sie. Aber sie wisse nicht, wo ihre Schwester sei. Seit einiger Zeit sei sie verschwunden. Aus dem Heim in Uganda.

Das Projekt darf nicht enden! Sie möchten Space-Eye Hellas unterstützen?

betterplace.org/de/p89765

https://space-eye.org/uschis-housing-project