Vergewaltigung, drohende Prostitution, Pushback und Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg!
Von Ursula Wohlgefahrt
Nishimbe ist viel zu aufgeregt, um ein Interview zu Hause im Studio von Space-Eye zu geben, das sie sich mit einer anderen jungen Frau teilt. Sie wünscht, an einen neutralen Ort zu gehen, wo sie ruhig sprechen könnte. Auf dem Weg in eine Kaffeebar auf Samos verliert sie noch eine ID-Karte. Wir suchen gemeinsam. Im Kaffee kann sie kaum still sitzen. Der ganze Körper ist immer in Bewegung. Eine Verschiebung des Interviews lehnt sie ab. Da beginne ich ihr zu erzählen, dass ich mich gestern Abend auf den heutigen Tag vorbereitet habe und meinen Partner fragte, ob er wisse, wo Burundi sei? Wir haben beide falsch geschätzt und auf Google herausgefunden, dass das Land im Osten von Afrika liegt, eingebettet zwischen Ruanda im Norden, Tansania im Osten und dem Kongo im Westen. Auch hätten wir rausgefunden, dass der Nil zwei Flussläufe hat und der eine Flusslauf, der Weiße Nil, seine Quelle in Burundi habe. Die Geschichte über das Land habe mich erschüttert, mit dem eher friedlichen Zusammenleben der Hutu und der Tutsi bis zum Einmarsch der Belgier im Jahr 1916. Von da an bekämpften sich die beiden Ethnien – bis heute.
Zu welcher Ethnie sie denn gehöre? Zu den Tutsis, erwidert mir Nishimbe. Sie lebte mit ihrer Familie bestehend aus Vater, Mutter, einem Bruder und einer jüngeren Schwester in der Hauptstadt Bujumbara. Ihre Mutter habe täglich am Markt einen Stand gehabt und Tomaten, Zwiebeln, Reis und Mehl verkauft. Der Vater war Fahrer höherer Politiker der Oppositionspartei. Eine andere Arbeit fand er nicht. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, und Burundi ist das ärmste Land der Welt. Eines Tages durfte Nishimbe die Schule ab der 12. Klasse nicht mehr besuchen. Es sei zu gefährlich für Kinder, deren Eltern in der Oppositionspartei sei, oder für diese arbeite. Sie ist dann dre Jahre zu Hause geblieben.
Eines Abends erschienen bei ihnen eine bewaffnete, vermummte Gruppe der Burundischen Polizei, der Imbonerac. Die Familie wurde aufgefordert, sich in einem Raum zu versammeln. Nishimbe musste sich entblößen, sie wurde gepackt und brutal vor den Augen ihrer Familie vergewaltigt. Der Vater hat laut aufbegehrt und wurde auf der Stelle mit zwei Kugeln in die Brust erschossen. Dann hat der Bruder aufgeschrien. Auch er wurde sofort erschossen, danach die Mutter. Die Polizei nahm die drei Leichname mit und ließ sie und ihre Schwester im Raum zurück. Ob ihre Familie begraben wurde und wo das Grab ist, davon hat Nishimbe keine Ahnung. Irgendwann kam ein Freund der Familie und hat die beiden jungen Frauen mit seinem Auto nach Uganda in Sicherheit gebracht, in ein Heim für Minderjährige einer christlichen Kirche. Die Schwester ging dort weiterhin zur Schule. Nishimbe hat dafür im Hausdienst mitgearbeitet.
Immer wieder kam ein Mann und erzählte im Heim, dass es in der Türkei Arbeit gebe gegen gutes Geld. Es sei einfach großartig. Die jungen Frauen müssten einfach nur mitkommen, die Organisation des Passes und die Reise seien alles bezahlt. Nishimbe dachte, es sei vielleicht ein Weg, wo sie doch noch an Geld für ein Studium zur Krankenschwester kommen könnte und willigte ein. In der Türkei hat sich dann herausgestellt, dass es sich bei der Arbeit um Prostitution handelt. Dem ersten Freier, einem Afrikaner, erklärte sie, was mit ihr passiert war und dass sie überhaupt keinen Mann mehr berühren könnte. Er verhalf ihr dann zur Flucht nach Izmir. Sie ist ihm ewig dankbar dafür.
Nishimbe ließ sich nicht unterkriegen: Drei Jahre arbeitete sie in einer Lederfabrik in Izmir und half bei der Schuh- und Taschenproduktion. Dann wechselte sie in ein Restaurant und half in der Küche, wo immer Hilfe gebraucht wurde. In Izmir hatte sie ein kleines Einkommen, konnte sich über Wasser halten und sandte sogar ihrer Schwester ins Heim nach Uganda Geld.
Flüchtlinge erzählten ihr von Europa, was dort alles möglich sein sollte. Sie erzählten ihr, dass in Europa, das von Izmir aus zum Greifen nahe ist, das große Glück liege. Sie beschloss, dass sie dieses Glück auch haben möchte und zahlte auf einer Agentur für die die Schmuggler und die Überfahrt nach Lesbos 900 Euro.
Am 27.11.2020 bei Wind und Wellengang ist das Boot gestartet und durchnässt ist sie auf Lesbos angekommen. Die Mitfahrer haben ihr noch geholfen aus dem Dingi auszusteigen. Dann hat sie sich mühsam in den Gebüschen am Strand versteckt. Sie konnte nicht mehr. Eine Körperhälfte war von den Armen bis zum Fuß wie gelähmt. Zwei Tage blieb sie so liegen, bis sie sich schließlich aufraffte. Fischer zeigten ihr, in welche Richtung sie zu gehen habe. Humpelnd erreichte sie nach langer Zeit eine Landstraße.
Plötzlich hielt ein Bus und lud sie auf. Es war aber nicht die versprochene Hilfsorganisation, sondern die Polizei, die sie und die restlichen Mitreisenden auflud und zu einem Feld in der Nähe des Flugplatzes brachte. Es war der Abend des 29.11.2020. Nun hatte sie bereits seit zwei Tagen nichts gegessen und getrunken, und es sollte noch schlimmer kommen. Auf dem Feld wurden sie angewiesen, dass die Männer auf der linken Seite und die Frauen auf der rechten Seite sich splitternackt auszogen. Ihnen wurden sämtliches Geld, Rucksäcke und die Handys angenommen. Dann zogen die Polizisten die Gürtel aus und schlugen die splitternackten, frierenden und hungernden Asylsuchenden wahllos. Sie wurden wieder angewiesen, ihre Kleider anzuziehen und in den Bus zu steigen, der sie zum Hafen brachte. Dort wurden sie in ein Frontex-Boot getrieben. Die Frontex fuhr aufs Meer hinaus und wasserte nach ein paar Kilometer zwei Dingi. Sie wurden angewiesen, in die Dingi zu steigen und die Frontex fuhr davon. Stunden später wurde sie von der türkischen Küstenwache gesichtet und mitgenommen. Nishimbe war körperlich in einem so schlechten Zustand, dass sie drei Monate in einem Spital in Izmir aufgepäppelt und therapiert werden musste. Ihre Motorik hat sie bis heute nicht wieder vollständig zurückerlangt. Sie hat einen hinkenden Gang.
Dieser Pushback wurde bei Hilfsorganisationen auf Lesbos publik. Ein Anwalt aus Athen meldete sich bei Nishimbe, noch als sie im Spital war. Sie hat zusammen mit einem jungen Mann gegen das Vorgehen der Polizei und der Frontex Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben. Die Klage ist noch anhängig.
Da bei einer Einzahlung des Fahrpreises zur Überfahrt bei einer Agentur das Geld erst an die Schlepper ausbezahlt wird, wenn fünfmal keine erfolgreiche Überfahrt und Ankunft beim Camp stattfand, oder bei einer erfolgreichen Überfahrt und Ankunft beim Camp, so hatte sich Nishimbe entschieden, am 6.7.2021 nochmals eine Überfahrt nach Europa zu wagen. Sie landete nun auf Samos.
Nishimbe durfte nach ihrem Spitalaufenthalt in einen Container im alten Camp auf Samos. Ihr wurde in sehr kurzer Zeit Asyl gewährt. Junge Afrikanerinnen haben mich gebeten, ob ich nicht noch ein Bett in einem Studio freihätte, sie würden eine nette, ganz starke junge Frau kennen. Seit September 2021 lebt Nishimbe in einem Studio von Space-Eye und ist glücklich. Sie möchte dort einfach ihre Ruhe haben. Sie hat gar kein Vertrauen mehr zu Menschen, besonders zu den Männern. Da sie niemanden hier in Europa hat, oder kennt, würde sie gerne auf Samos bleiben. Doch die Arbeitssituation hier ist alles andere als gut. Eine Stelle als Übersetzerin für afrikanische Sprachen würde ihr gefallen. Ich bin sicher, dass sie mit ihrem starken Willen wieder sich selbst durchbringen kann, trotz ihrer körperlichen Einschränkung durch die erste Überfahrt nach Lesbos undf dem Pushback.
„Uschi“
Ursula Wohlgefahrt lebt auf Samos und kümmert sich „hauptamtlich“ um gestrandete Flüchtlinge – Menschen, die zwar eine Anerkennung als Asylberechtigte haben, aber kein Geld, keine Unterkunft und keine Ausreisepapiere. Für Space-Eye betreibt „Uschi“ auf Samos ein Housing-Project, das inzwischen rund 90 Menschen Unterkunft bietet.
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