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Foto: Thomas Ratjen

„Warum bist Du zu uns gekommen?“ „Ich habe Herzprobleme.“ „Du hast Herzprobleme? Warst Du damit bei einem Arzt?“ „Ja, er sagt, ich hätte keine Herzprobleme. Und er hat mir Schmerzmittel gegeben.“

Fabiola und ihr Farsi-Übersetzer, selbst ein Flüchtling im Camp, sind mit Amira, einer jungen afghanischen Frau im Behandlungsraum im Container von Earth Medicine. Im Flüchtlingscamp auf Lesbos. Auf der griechischen Insel, auf der seit 2015 Hunderttausende Flüchtlinge über die gefährliche, wenn auch eigentlich kurze Route, über das Meer aus der Türkei gekommen sind. So auch Amira. Und jeder Einzelne im Camp, egal, ob jung oder alt. Egal, ob körperlich fit oder schon vor der Flucht beeinträchtigt.

Wir wissen nicht, ob Amira es beim ersten Mal geschafft hat. Oder ob sie es öfter versuchen musste, weil sie einen oder mehrere Pushbacks erlebt hat. Wir wissen nicht, was sie in Afghanistan und auf der Flucht erlebt hat. Was wir aber wissen ist, dass sie heute hier sitzt und es ihr schwerfällt, über sich zu sprechen. Auf viele von Fabiolas Fragen weiß sie nicht, was sie antworten soll. Auch als der männliche Übersetzer hinausgeschickt wird und sie es mit Online-Übersetzer und Bildern an der Wand versuchen, blickt sie sich immer wieder um, als suche sie ein Schlupfloch, um der Situation zu entkommen. „Viele Menschen haben den Kontakt zu sich selbst und ihrem Körper verloren“, sagt Fabiola, „das ist eine Art Schutzmechanismus“.

Fabiola braucht aber viele Informationen, um verstehen zu können, wie Hilfe von ihrem Team aussehen kann. Sie ist stolz darauf, ein Team zu haben, das aus verschiedenen Perspektiven auf das Individuum schaut. Man nennt es auch ganzheitlich. Und das, wenn immer möglich, langfristig betreut. Denn was ist schon langfristig an einem Durchgangsort? Manchmal Wochen, manchmal zwei Jahre, wenn der Asylprozess schlecht für den Einzelnen läuft, auch mal mehr. Oft ist der Ausgangspunkt eine medizinische Diagnose, manchmal unter Zeitdruck erstellt und von irgendwo her. Und eben das ausführliche Aufnahmegespräch mit Fabiola.

Fabiola ist einfühlsam, aber nicht immer geduldig. Zu viele Menschen warten auf ihre Unterstützung. Und das sagt sie den Menschen auch. Um gleich von Anfang an deutlich zu machen: Wir wollen Dein Bestes, aber Du musst es auch wollen! Und vor allem: Du musst es in die Hand nehmen! Übungen aus der Physiotherapie auch ohne uns machen. Verstehen, was Dir hilft. Gewohnheiten ändern. Vereinbarungen einhalten. „Sonst wird es nichts“, sagt Fabiola kristallklar.

Viele Frauen trinken viel zu wenig. Manchmal nur 1–2 Gläser Wasser am Tag. Auch wenn die Sanitäranlagen viel sauberer sind als in früheren Camps, tun sie alles, um den Gang dorthin zu vermeiden. „Dein Körper braucht Flüssigkeit! Es geht nicht darum, dass ich das Wasser mag oder es besonders genieße. Ich trinke, weil mein Körper sonst nicht funktionieren kann – und Deiner auch nicht“, erklärt Fabiola Amira. Amira schaut, als habe sie nie darüber nachgedacht.

„Wie lange schläfst Du nachts?“ Amira überlegt. „Ein, zwei Stunden, dann bin ich wieder wach.“ „Was hält Dich wach?“ „Ich habe Angst vor den Alpträumen. Denn ich weiß, dass sie kommen werden.“

Seit acht Jahren ist Fabiola hier. Sie liebt, was sie tut, gibt sich mit den Verhältnissen nicht zufrieden. Ist von einem Camp zum anderen weiter gezogen, mit der von ihr gegründeten NGO: von Moria, das viele von uns als Schreckenslager aus den Medien kennen, über Kara Tepe, in dem früher besonders zu schützende Menschen untergebracht wurden bis hierhin in das „neue“ Camp am Meer. Und es wird sicher nicht die letzte Station auf Lesbos sein. Immer wieder hat es Schließungen und neue Camps gegen. Ein neues wartet bereits auf seine Eröffnung.

Über Fabiola gibt es einige Dokumentationen, Filme, Artikel. Kaum jemand ist so lange hier, die meisten als Volunteers  sogar nur ein paar Wochen. „Das ist ein großes Problem“, sagt Fabiola, „wie sollen Menschen optimal unterstützt werden, wenn es gar keine Stabilität gibt, wenn jede Organisation x-mal im Jahr wieder anfangen muss, Kontakte mit Behörden aufzunehmen, Netzwerke zu knüpfen. Dafür habe ich keine Zeit, es sind viel zu viele Schicksale, die wir begleiten müssen. Viel zu viele. Wir haben keine Zeit zu verschenken, denn wir stehlen sie den Menschen, die uns brauchen und denen sonst unsere Art der Unterstützung niemand zukommen lässt!“ Aber Menschen, die länger bleiben könnten, müssten bezahlt werden können. Und das ist schwierig in NGOs. Fabiolas Team wird von Space-Eye unterstützt und ist glücklich über die Verbindung.

Mit Fabiola zusammen zu sein, ist ein besonderes Erlebnis. Sie ist energiegeladen, voller Tatendrang, behält den Überblick und den Blick für Bedürfnisse der einzelnen Menschen. Sie scheint überall gleichzeitig zu sein. Dabei aber nicht gestresst oder hektisch, sondern einfach nur hoch konzentriert. Und sie scheint nie aufzugeben. Egal, ob es um bürokratische Prozesse oder die Behandlung einer Patientin geht. Fabiola ist kämpferisch. Und erfinderisch. Zum Wohl derjenigen, um die sich sonst niemand kümmert. Denn Menschen mit Behinderungen oder Verletzungen sind schlecht dran auf der Flucht. Und auch im Camp ist Barrierefreiheit ein Fremdwort.

„Natürlich musst Du als Einzelner auch wollen, dass man Dir hilft. Und es sind Menschen wie wir, die hier benötigt werden, um Dinge voranzutreiben und Linderung von grenzenlosem Leid zu schaffen.“ Was kann dies für ein Leid sein? Oft ist es nicht völlig offengelegt, ergibt sich aus dem Herkunftsland. Oder aus der besonderen Situation einer Minderheit im Land und auf der Flucht. Aus einer Behinderung, aus Foltermalen und Gewalt, die Menschen auf allen Stationen erlitten haben können. Menschenrechte und Sicherheit, davon können viele träumen. Oder haben sogar das aufgegeben.

„Niemand von Euch sollte hier sein“, sagt Fabiola zu den Bewohnern des Camps, die um sie herum auf die Behandlung warten. Und sie meint damit, dass alle das Recht auf ein Leben in Frieden haben sollten. In dem Menschenrechte nicht infrage gestellt sind. In dem individuelle Unterstützung auch bei körperlichen Leiden eine Selbstverständlichkeit ist. In dem man die eigene Familie um sich hat und nicht auch noch um deren Leben fürchten muss.

Fabiola wird dies nicht ändern können. Aber mit Earth Medicine, das sie gegründet hat, trägt sie und ihr Team enorm dazu bei, dass zumindest die Leiden der Schwächsten im Camp gelindert werden. Natürlich muss auch sie eine Priorisierung treffen, es sind hunderte Menschen im Camp, wahrscheinlich über tausend. Sie hat einen kleinen Behandlungscontainer und ein paar Räume in der Stadt. Ein kleines Kernteam und ansonsten Freiwillige, die Expertinnen in dem sind, was sie anbieten. Das geht von Physiotherapie, bis Traumabehandlung und Homöopathie. Wenn immer es geht, ist jemand dabei, der Akupunktur beherrscht. Auch das muss Fabiola organisieren, denn die Helfer kommen aus der ganzen Welt und müssen binnen Stunden ins Team eingeführt sein. Und das klappt, weil alle wissen, warum sie hier sind. Um Leid zu lindern. Um Menschen so fit zu machen, dass sie die nächsten Schritte, im wörtlichen und übertragenen Sinn, gehen können. Denn hierbleiben wird niemand. Und das würde auch niemand wollen.

Über Fabiola und Earth Medicine gibt es einige Dokumentationen auf YouTube und auch der Webseite von Space-Eye und Earth Medicine Physical Rehabilitation. Deshalb hier nur eine kleine Auswahl:

https://m.youtube.com/watch?v=VrrujENLvwM
https://www.youtube.com/watch?v=dknRwYYHOAU

Das Projekt darf nicht enden! Sie möchten Space-Eye Hellas unterstützen?
betterplace.org/de/p89765
https://space-eye.org/uschis-housing-project