Von Ursula Wohlgefahrt
Ich besuche Rawan und ihre fünf Kinder. Beim Betreten der Wohnung strömt mir ein herrlicher, süßer Duft entgegen. Aha! Rawan ist wieder am Backen! Backen ist ihre große Leidenschaft. Ich betrete die Küche und sehe, wie sie grade den Teig in verschieden große Formen gießt. „Was gibt’s denn da schönes?“, frage ich gespannt. „Eine Torte für eine Verlobung. Sie soll mehrstöckig und möglichst bunt sein.“ Ja, das Leben geht ja weiter, ob auf der Flucht, oder irgendwo auf der Welt: Es wird geboren, geliebt, verlobt, geheiratet, geschieden und auch gestorben. So ist es eben. Nichts steht still. Rawan überlässt mir und der kleinen Sidra eine Schüssel, die wir zusammen auslecken. Der Teig schmeckt wirklich lecker. Mmmh! „Ich backe Dir jeden Kuchen mit jeder Verzierung, die Du willst, Mama Uschi! Wann hast Du Geburtstag?“ „Ich habe erst im August, aber Neil hat nächsten Samstag“, rutscht es mir raus. „Den Kuchen mache ich! Welchen Geschmack willst Du? Vanille, Schokolade, Nuss?“ Wir haben uns auf Vanille geeinigt und die bestellte kleine Geburtstagstorte reichte für uns zwei plus die ganzen Freiwilligen einer humanitären Organisation auf Samos! Und so was nennt sich kleine Geburtstagstorte im Irak.
Rawan kommt aus dem Irak. Sie wohnte im Stadtteil Khatib in Bagdad mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern. Sie ist aus dem Iran und Schiitin, habe aber gegen den Willen ihrer Familie einen Sunniten geheiratet. Somit war sie zu Hause nicht mehr erwünscht. Im Irak war dies vor dem Sturz von Saddam Hussein noch möglich, und die einzelnen Glaubensrichtungen haben sich nicht bekämpft. Mit dem Krieg änderte sich dann alles, was für sie dramatische Folgen hatte. Sie wurde verhöhnt und wurde plötzlich in der Familie ihres Mannes nicht mehr willkommen geheißen. Zusätzlich zu den Schrecken des Krieges, den sie und ihre Familie täglich durchlebten, mit Morden, Toten und Bombenanschlägen, begann ihr Mann mit häuslicher Gewalt. Er konnte diese Spannung nicht ertragen und sie war nun mal Schiitin und konnte ihrem Glauben nicht abschwören. Die Eltern ihres Mannes und die Familie begannen, auch ihre Kinder zu verstoßen. Rawan hatte plötzlich auch keine Bewegungsfreiheit mehr und war eingesperrt und ständige Angst um ihr Leben und um das Leben ihrer Kinder.
Sie sah keinen anderen Ausweg mehr, als die Flucht nach Europa, um in Ruhe leben zu können.
Die Überfahrt nach Samos in einem kleinen Boot ist für sie, die zuvor noch nie in einem Boot gesessen hatte, bis heute wie ein Alptraum, und sie ist so froh, dass sie es beim ersten Mal geschafft haben.
Seit Dezember bewohnt Rawan die Räumlichkeiten einer ehemaligen Arztpraxis. Sie konnte von einer Organisation Bettgestelle für fünf Euro besorgen, wir haben die Matratzen gespendet. Gegessen wird auf einem Teppich am Boden. Es ist alles spärlich eingerichtet, aber für sie ist es – nach einem Winter im Camp – das Paradies. Sie hat ja wieder eine Küche und wenn ihr das Kindergeschrei zu laut wird, verzieht sie sich in die Küche und backt wieder was Schönes, auch für sich. In einer Dose hat sie immer griffbereit selbstgemachtes Konfekt, für jeden Gast.
Sie dankt Space-Eye ganz herzlich, dass wir die Miete, Stromkosten und einen Beitrag an den Lebensunterhalt übernommen haben.
Was sie denn möchte, wenn sie in Deutschland ist, frage ich sie. Ganz einfach: eine gute Ausbildung für jedes Kind und sie möchte so gerne in einer Bäckerei arbeiten.
Hoffen wir, dass sich ihre Wünsche erfüllen mögen
„Uschi“
Ursula Wohlgefahrt lebt auf Samos und kümmert sich „hauptamtlich“ um gestrandete Flüchtlinge – Menschen, die zwar eine Anerkennung als Asylberechtigte haben, aber kein Geld, keine Unterkunft und keine Ausreisepapiere. Für Space-Eye betreibt „Uschi“ auf Samos ein Housing-Project, das inzwischen rund 90 Menschen Unterkunft bietet.
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