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Die Insel Samos ist eine Schönheit, und jetzt im zart beginnenden Frühling ohnehin: Sonne und Wind, wilde Orchideen, Olivenhaine, kleine Buchten und schroffe Felsen. Ein Paradies, nach dem viele Sehnsucht haben. Doch Samos kann zur Falle werden, der man jahrelang nicht entkommen wird – wenn man Pech hat, so wie Amir aus Afghanistan.

Vor vielen Jahren ist Amir mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen, damals noch kleine Kinder, aus Afghanistan geflohen. Sicher hat die Familie viel erlebt, an das Amir aber nicht mehr erinnert werden will. Amir ist 38 Jahre alt, ein sehr schlanker, auf Anhieb sympathischer und sehr zurückhaltender Mann. Wann immer er im Projekt helfen kann, ist er dabei. Er spricht Farsi, lernt bei der letzten NGO, die so etwas anbietet auf der Insel, Englisch. Er hat den Wunsch, sich besser verständigen zu können, wenn er endlich sein Leben fortsetzen kann, woanders, nicht auf Samos.

Amir erging es wie vielen vor und vor allem nach ihm: vor mehr als fünf Jahren stand er mit seiner Familie an der Schwelle zu Europa, auf der türkischen Seite, wartete lange auf den Moment der Überfahrt, den die Schlepper bestimmen, nicht die Zahlenden. Und wie so oft wiederholt sich auch bei ihm die Geschichte: Die Schlepper werden nicht mit an Bord der kleinen, wackeligen Boote kommen, ihr Job endet hier, am Strand in der Türkei. Doch Misserfolge sind schlecht für das Geschäft, sie wollen an jemanden übergeben, der das Boot lenkt. Wenn sich jemand findet, der Erfahrung hat, ist das gut. Wenn nicht, ist es egal – es wird jemand nominiert. Das dauert nur Sekunden und eine Wahl gibt es nicht. Im Fall von Amirs Familie ist es Amir, den es trifft. Er hat keine Erfahrung mit Booten, weiß sicher nicht, was er machen soll und hofft einfach nur, dass sie alle gut auf der anderen Seite ankommen. Am Strand der nicht weit entfernten Insel Samos und damit in Griechenland.

Wir wissen nichts über die Überfahrt, ob es leicht war, ob es gefährlich war an diesem Tag. Was wir aber wissen ist, dass auf der anderen Seite nicht nur Europa wartete, sondern auch die Küstenwache. Und die war sehr daran interessiert, wer das Boot lenkte, denn in Griechenland gilt derjenige als der Schlepper und wird unter Anklage gestellt.

Seitdem, und das ist mittlerweile fünf Jahre her, wartet Amir. Auf ein Verfahren, einen Freispruch – Amir weiß es nicht genau. Seine Frau mit den Kindern ist vor Monaten weiter nach Deutschland gezogen. Amir kann das nicht, er darf die Insel nicht verlassen. Doch arbeiten oder Teil der griechischen Gesellschaft darf er auch nicht werden.

Space-Eye Hellas gibt Amir eine Unterkunft in einem kleinen Apartment mitten in der überschaubaren Hauptstadt der Insel. Er wäre sonst obdachlos und ohne Unterstützung von Space-Eye auch nicht in der Lage, für seinen täglichen Bedarf zu sorgen. Eine andere Organisation, die Vergleichbares tut, gibt es auf Samos nicht. Er wohnt in einem Zimmer mit einem anderen Flüchtling, der sein eigenes hartes Schicksal mit sich trägt. Die beiden schlagen sich durch zusammen – Freunde sind sie nicht, eher eine Art Notgemeinschaft mit gemeinsamer Küche.

Amir freut sich, hat sich sofort ein Heft gekauft. Er hat eine Möglichkeit gefunden, ein paar Brocken Deutsch mit einer Deutschen zu lernen. Denn auch, wenn alles unklar ist, sein Ziel hat er vor Augen: Deutschland, da wo seine Familie lebt. Wann auch immer das sein mag und wer auch immer es entscheiden wird …