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Von Ursula Wohlgefahrt („Mama Uschi“), Samos)

Warten, warten und sich die Zeit in Samos mit Fischen vertreiben, das tut Aziz. Seine Frau Nasima kommt nach dem Frauennachmittag bei einer Frauenorganisation zu ihm ans Meer.
Gemeinsam schauen sie hinaus aufs Meer. Aziz steckt ein neues Brotstückchen als Köder an die Angel und wirft sie nochmals aus. Vielleicht beißt jetzt einer an. Fürs Abendessen haben sie sonst, außer etwas Reis, noch nichts.

Aziz und Nasima kommen beide aus Afghanistan und haben in Samos Asyl erhalten. Die gute Nachricht erreichte sie, als sie bereits im neuen Camp waren. Im neuen Camp in Samos, dem halb geschlossenen Zervou-Camp, mitten auf der Insel, waren sie nur kurz. Gefallen hat es ihnen dort sehr gut. Es hat ihnen an nichts gemangelt. Beim positiven Asylentscheid kam die Aufforderung, das Camp zu verlassen und in ein Lager nach Kavala zu ziehen, was sie getan haben. Zügig schritten die Asylbehörden voran und übergaben ihnen innerhalb Monatsfrist ihre Pässe in Kavala. Doch die Freude währte nur kurz: Die Pässe enthielten Fehler in den Namen. Diese Fehler konnten sie nicht akzeptieren, weil die Namen nicht mit ihrer ID-Karte, der Bestätigung des griechischen Steueramtes und der Krankenkasse AMKA übereinstimmten. Für die Korrektur der Pässe wurden sie wieder an ihren Erstempfangsort in Europa, Samos, zurückgeschickt. Die Asylbehörde hat für solche Fälle keine Lösung. Die aufgenommenen Flüchtlinge sind sich selbst überlassen und müssen schauen, wie sie wieder nach Samos kommen, wo sie wohnen und wie sie zu neuen Pässen kommen. Eine Nacht haben sie in einer Bucht am Meer übernachtet. Durch eine afghanische Familie in unserem Projekt wurde ich auf die beiden aufmerksam gemacht. Meine Antwort war: „Unser Projekt ist voll“. „Können wir die beiden zu uns nehmen? Sie könnten doch in unserem Wohnzimmer schlafen?“ war die Antwort dieser Familie. So viel Offenheit und Spontanität findet man nicht oft. Gerne stimmte ich dem Anliegen zu. Nun wohnen Aziz und Nasima bei ihnen und sind glücklich, doch noch Obdach erhalten zu haben.

Aziz und Nasima kommen aus Mazar-e Scharif, der größten Stadt Afghanistans. Sie lebten im Stadtteil Kalak. Aziz arbeitete im Hochbaugewerbe. Nasima war Hausfrau. Sie hatte keinen Beruf gelernt und durfte das Haus nicht verlassen – wegen der Taliban. Die Angst, durch die Taliban zurechtgewiesen, misshandelt oder getötet zu werden, besteht in dieser Stadt seit sieben Jahren. Aziz hat nie Militärdienst geleistet. Die Taliban wollten ihn immer wieder fürs Militär rekrutieren, aber er wollte nicht. Wegen Verweigerung der Rekrutierung ist ein Bruder von Nasima von den Taliban ermordet worden. Aziz konnte diesen Druck nicht länger ertragen. Er floh mit seiner Frau über den Iran in die Türkei. Dies ärgerte die Taliban so sehr, dass sie aus Rache einer seiner Brüder und einen nahen Verwandten ermordeten.

Seit sechs Jahren sind Aziz und Nasima verheiratet. Sie haben keine Kinder. Nasima war mehrmals schwanger. In Afghanistan hat sie ein Baby im achten Monat verloren. Als die Taliban ihr Haus gestürmt haben, konnte sie durch eine Hintertüre entrinnen. Auf der Flucht haben sich ihre Beine im langen Gewand der Burka verfangen und sie ist gestolpert und auf ihren Babybauch gefallen und hat danach das Baby verloren. Nasima musste in der Öffentlichkeit immer eine Burka tragen. Mit ihrem Mann hat sie nur selten das Haus verlassen, etwa um Verwandtenbesuche zu machen, oder um mit ihm zum Einkaufen zu gehen. Bevor sie verheiratet war, war ihr Vater ihr ständiger Begleiter in der Öffentlichkeit.

„Hier ist ein so viel besseres Leben für mich“, strahlt Nasima glücklich. Sie vermisst aber ihre Familie. Auch ihr Mann ist glücklich, dass sie sich hier so frei bewegen können und er freut sich für und mit seiner Frau. Aziz ist so froh, hier in Europa zu sein und keine Angst mehr haben zu müssen. Das Ehepaar möchte auch nach Deutschland, wenn es möglich wäre. Hier auf Samos hatten sie keine Hilfe gefunden, weder für Sprachunterricht, noch hat ihnen jemand eine Arbeit vermitteln können. Selbst die Hotels und Geschäfte abzuklappern (auf Farsi) ist ein Ding der Unmöglichkeit, um nach Arbeit nachzufragen. Nun starten sie nächste Woche mit dem Griechischunterricht bei Annie, der älteren Dame aus Frankreich, falls sie doch in Griechenland bleiben. Gerne möchte Nasima in Zukunft als Schneiderin arbeiten.

Aziz fischt heute zum Zeitvertreib und um den Speiseplan zu bereichern. Er macht dies jeden Tag. In Afghanistan war dies nicht möglich, dort gab es keinen Fluss oder See. Aziz liebt jede Arbeit, nur nicht zu Hause bleiben. Er muss immer etwas tun.

Beide bedanken sich für die Aufnahme im Mehrfamilienhaus von Space-Eye herzlich und senden beste Grüße an alle Spender nach Deutschland, die dieses Projekt möglich machen.

„Uschi“

Ursula Wohlgefahrt lebt auf Samos und kümmert sich „hauptamtlich“ um gestrandete Flüchtlinge – Menschen, die zwar eine Anerkennung als Asylberechtigte haben, aber kein Geld, keine Unterkunft und keine Ausreisepapiere. Für Space-Eye betreibt „Uschi“ die Housing-Projekte auf Samos, Lesbos und Athen.