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Ein Mann mit nacktem Oberkörper steht in einem gefliesten Raum mit gesenktem Kopf vor einem Spiegel. Ihm fehlt der linke Arm.

Die Folgen des Ukrainekriegs spürt Yurij Sukhotin am eigenen Leib. Durch einen Raketenbeschuss wurde ihm der Arm weggerissen.

Bildrechte: BR/Sebastian Grosser

 

Eine Hand hält ein Mobiltelefon, auf dessen Bildschirm zu sehen ist ein Foto, das einen verletzten Mann mit blutüberströmten Gesicht zeigt.

Ihor war auf dem Weg an die Front, als er in einen Hinterhalt geriet und beschossen wurde. Das Foto zeigt ihn verletzt nach dem Angriff.

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Ein Mann sitzt an einem Tisch, vor ihm steht eine Frau und gestikuliert erklärend mit den Händen, im Hintergrund Blätter aus Papier an der Wand mit kurzen deutschen Phrasen.

Yurij Sukhotin beim Deutsch-Unterricht, den Space-Eye für ukrainische Flüchtlinge organisiert hat.

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Ein Mann sitzt vornübergebeugt auf einer Liege, eine zweite Person umfasst seinen linken Fuß zur Behandlung.

Ihor Zubritzskyi bei der Physiotherapie: Der 38-jährige Berufssoldat will, sobald es geht, zurück in die Ukraine zu seinen Kameraden.

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Ukrainische Verwundete in Bayern: Den Krieg vor Augen

Verbrannte Gesichter, zerfetzte Arme und Beine: Seit Kriegsbeginn wurden und werden in bayerischen Krankenhäusern 87 ukrainische Verwundete behandelt. Doch auch nach dem Klinikaufenthalt sind die Betroffenen auf Hilfe angewiesen.

Von Sebastian Grosser (BR)

 
Wenn Yurij Sukhotin seinen Körper im Spiegel betrachtet, sieht er die Folgen des Ukraine-Kriegs. Dem 27-Jährigen fehlt der linke Arm. Durch einen Raketenbeschuss wurde er ihm weggerissen, als er Ende April in Luhansk in der umkämpften Ostukraine eingesetzt war. Dort, wo einmal sein linker Arm war, prangt jetzt eine frische Narbe. Mehrere Operationen hat Yurij hinter sich, unter anderem auch in Bayern. Seit gut vier Monaten lebt er mit seiner Familie in Regensburg, in einem Haus der Hilfsorganisation Space-Eye. Doch mit den Gedanken ist der Berufssoldat immer noch in der Ukraine. „Ich beobachte die Situation in der Ukraine pausenlos. Ich telefoniere, schaue Nachrichten, versuche irgendwie einen Überblick zu behalten.“ Auch wenn Yurij wohl keine Waffe mehr halten können wird, der Krieg lässt ihn nicht los. „Ich habe einen Eid geschworen auf die Ukraine und das ukrainische Volk. Es ist eine schwierige Situation für mich, denn ich möchte was tun.“
 
 

Kriegsverwundete in deutschen Krankenhäusern

Das Schicksal von Yurij Sukhotin teilen viele Soldaten, die derzeit in Deutschland behandelt werden. Allein in Regensburg sind es 13 Kriegsverletzte. Ein Teil davon wurde oder wird noch an der Regensburger Uniklinik behandelt. So auch Ihor Zubritzskyi. Er sitzt auf seinem Krankenbett in der Station für Unfallchirurgie. Es ist die letzte Visite, bevor der Soldat entlassen wird. „Im Moment sieht alles sehr gut aus. Die Wunden sind gut verheilt. Sie sind ja auch noch ein junger Mann. Das wird gut“, bewertet Chefarzt Volker Alt die Verletzung am Bein, ausgelöst durch einen Schuss. Ihor war auf dem Weg an die Front in der Nähe von Donezk, als er in einen Hinterhalt geriet und beschossen wurde. Neben seinem Bein wurde auch ein Benzinkanister getroffen. Ihor konnte aus dem Auto springen und sich in einen Graben retten, wo er mehrere Tage verbrachte, blutüberströmt und mit Verbrennungen im Gesicht.

 
 

Kriegsverletzungen: Wundinfektionen bis Amputationen

Die Wunden sind inzwischen gut verheilt. Nur um sein Kniegelenk muss Ihor noch eine Vorrichtung aus mehrere Stäben tragen, die das Gelenk in der richtigen Position hält. Nach seiner Ankunft in der Uniklinik war es den Ärzten vorerst wichtig, eine Infektion zu verhindern. Denn Wundinfektionen sind bei Kriegsverletzungen nicht selten, sagt Unfallchirurg Alt. „Das Perfide daran ist, dass durch Projektile oder Granatsplitter Bakterien in den Körper eintreten, die dann schwere Wundinfektionen hervorrufen können. Unbehandelt führt das oft zu einer Blutvergiftung und im schlimmsten Fall bleibt als einzige Möglichkeit nur die Amputation.“

Ukrainische Kliniken: Mangel an Ressourcen

Wie langwierig die Behandlung einer Wundinfektion sein kann, sieht man ein paar Zimmer weiter. Hier lebt ein ukrainischer Soldat schon mehrere Monate. Der Mann, der bereits vor dem Ukraine-Krieg im Donbas gekämpft hat, hat zudem multiresistente Keime in seinem Körper. Nur mit Kittel und Handschuhen darf man den Raum betreten. Alt glaubt nicht, dass der Mann in der Ukraine unprofessionell behandelt wurde.

„Die ersten Operationen in den Krankenhäusern und von den Kollegen in der Ukraine sind chirurgisch sauber gemacht. Aber natürlich mit limitieren Ressourcen.“ Prof. Volker Alt, Unfallchirurgie Uniklinik Regensburg

In Regensburg sei man auf solche Fälle spezialisiert. Eine Luxussituation, von der auch die ukrainischen Verwundeten profitieren sollen.

EU: Über 500 Patiententransporte aus Ukraine

Laut dem Bundesgesundheitsministerium hat Deutschland die meisten ukrainischen Kriegsverletzten aufgenommen. „Dabei wird nicht zwischen militärischen und zivilen Kriegsverletzten unterschieden“, so eine Pressesprecherin auf BR-Anfrage. Daher könne die genaue Anzahl der ukrainischen Soldaten, die sich in Deutschland und Bayern in Behandlung befinden, nicht beziffert werden. Das Bayerische Innenministerium spricht von über 500 ukrainischen Kriegsverletzten in Deutschland, 87 davon wurden in bayerischen Krankenhäusern aufgenommen. Ein Großteil der Kosten für den Transport übernimmt die Europäische Union. Die Kosten für Behandlung oder zum Beispiel für Prothesen in Deutschland werden seit Juni von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen, sofern die Verwundeten bei der Ausländerbehörde registriert sind.

 

Nach Klinikaufenthalt: Hilfe für den Alltag gefragt

Zurück im Wohngebäude der Hilfsorganisation Space-Eye. In einem kleinen Raum im Erdgeschoss befinden sich zwei Tischreihen und eine Tafel, auf der verschiedene Gemüsesorten stehen. In der ersten Reihe sitzt Yurij Sukhotin. Der Berufssoldat versucht das Beste aus seiner Situation zu machen. Er hilft selbst neuen Flüchtlingen, erledigt Arbeiten, trotz seines Handicaps. Daneben nimmt er Deutsch-Unterricht, den Space-Eye für ukrainische Flüchtlinge organisiert hat. Im Nebenraum gibt es sogar ein Kinderzimmer, damit auch Mütter das Angebot wahrnehmen können, erklärt die ehrenamtliche Helferin Christiane Lederer.

„Der Krieg ist ein Angriff auf unsere Werte. Und daher war vom erstem Moment ein inneres Gefühl da: Ich muss hier was tun, was ich tun kann.“ Christiane Lederer, Space-Eye Regensburg

Bei Space-Eye kümmert sich die 40-Jährige um die ukrainischen Flüchtlinge – neben ihrem Fulltime-Job. „Das Ganze ist schon ein Spannungsfeld, das alles mit Partnerschaft und Familie in Einklang zu bringen. Die Familie steckt da entsprechend zurück.“ Doch der Angriffskrieg habe ihr keine Wahl gelassen.

Ehrenamtliche Helfer: Krieg kommt näher als gewollt

Wie bedeutend die Hilfe von Christiane Lederer für die ukrainischen Verwundeten und ihre Familien ist, zeigt sich in einem einzelnen Moment. Als sie die Drei-Zimmer-Wohnung der Familie Sukhotin betritt, stürmt Yurijs Tochter auf die 40-Jährige zu und klammert sich innig um ihren Hals. Das Mädchen wird Lederer während des ganzen Besuchs nicht mehr loslassen. Wie der Krieg auch Lederer nicht. Er ist ihr sehr nah. Helfer wie Lederer bekommen viel zu sehen, vor allem Fotos und Videos aus dem Krieg. Am Anfang sei das schon verstörend gewesen, sagt ein Übersetzer. „Aber man stumpft ab.“ Inzwischen könne er die schrecklichsten Videos sehen und nebenbei sein Müsli essen.

 
 

Verwundete Soldaten: Zurück an die Front?

Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus ist auch Ihor Zubritzskyi in dem Wohnkomplex am Rande der Regensburger Altstadt untergekommen. Christiane Lederer besucht ihn regelmäßig. Sie organisiert für ihn Arztbesuche oder die Physiotherapie, damit der 38-Jährige bald wieder ohne Krücken laufen kann. Ihor weiß die Hilfe sehr zu schätzen, auch wenn er sie nur so lang wie nötig in Anspruch nehmen möchte. Ihor will zurück in die Ukraine, zurück zu seinen Kameraden, die gerade in der Region Cherson kämpfen.

„Ich bin ihr Kommandeur. Selbst wenn ich hier bin, will ich ihnen helfen. Sie sind wie Brüder für mich.“ Ihor Zubritzskyi, verwundeter ukrainischer Soldat

Mit seiner Hand streicht Ihor über sein Handy. Ein Video geht los. Darauf zu sehen sind er und seine Kameraden in einem Transporter. Ihor deutet auf ein, zwei Personen. „Tot. Gefallen.“