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2019 geht’s los: Space-Eye startet die Satelliten-Überwachung +++ It starts in 2019: Space-Eye launches satellite surveillance

Aktuelles von der Seenotrettung

Milad

Milad

Flüchtlingslager sind kein Ort zum Leben

Wir nehmen Euch mit ins Jahr 2021. Wir laufen und klettern über Gestrüpp und Steinschutt den Berg hinauf. Milad ist 18 Jahre alt und erzählt uns auf dem Weg zum Lagerplatz seiner Familie etwas über sich und seine Familie. Sie leben bereits seit zwei Jahren in dem Lager, das sich in direkter Nähe zu der kleinen Hauptstadt der Insel Samos befindet. Schaut man von einem höheren Punkt von gegenüber auf das Lager, fällt es dem Auge schwer zu erfassen, was es sieht: eine unübersichtliche Anzahl von Baracken, Zelten, dürftig zusammen genagelten Hütten zieht sich den steilen Hang hinauf, dazwischen ein Zaun mit Maschendraht. Es scheint keine Struktur zu geben und zwischen den Hütten wimmeln Menschen herum.

Angelegt war der Kern des Lagers für 650 Menschen, in Hochzeiten sind es rund 8.000, die hier leben. Hier leben müssen. Denn verlassen dürfen sie die Insel nicht bevor ihr Asylverfahren positiv beschieden wurde und die Papiere erstellt sind. Und dass kann bei einer Ankunft in 2018 oder 2019 Jahre dauern. Jahre bis zur ersten Anhörung.

Auch Milads Familie wohnt im sogenannten Dschungel, dem nicht offiziellen Lagerbereich, in einem Konstrukt aus Pfählen und Planen, gebaut auf Stelzen, um dem Schlamm, der sich im Winter oder bei Regen bildet, etwas entkommen zu können. So gut es geht haben Sie sich den Bereich eingerichtet, mit alten Teppichen auf dem Boden, und sogar einer Glühbirne im Schlafbereich, betrieben von einer Solarzelle, die irgendjemand gespendet hat. Seine Mutter und seine Schwestern kochen draußen und spülen das Geschirr mit Wasser aus einer Regentonne. Fließendes Wasser oder Strom gibt es nicht. Wir können uns nicht vorstellen, was aus diesem Ort nachts wird, wenn das Tageslicht fehlt. Die Toiletten, sagen die Menschen, die Toiletten sind dann das Schlimmste.

Milads Familie ist gastfreundlich, freut sich, dass wir gekommen sind. Milads Mutter kocht uns Chai, hat Plastikstühle besorgt, auf denen wir sitzen können. Die Familie wird bald in eine Wohnung von Space-Eye Hellas umziehen. Anders als die anderen Lagerbewohner, zumindest anders als für einen Großteil von ihnen. Denn das neue Lager in den Bergen ist Mitte September 2021 bezugsfertig. Fertig war es eigentlich schon lange, aber irgendwie gab es Probleme mit der Wasserversorgung für mehrere Tausend Menschen, die hier untergebracht werden sollen. Und dieses Lager soll die Blaupause für die anderen Hotspots auf den griechischen Inseln werden.

Wir springen in die Gegenwart. Es ist 2023, das neue Lager ist seit ungefähr 1,5 Jahren geöffnet. Es heißt: CCAC – Closed Controlled Access Center. Vieles erscheint auf den ersten Blick besser. Es gibt Container, keine Zelte oder zusammen gezimmerte Hütten mehr. Die Container können geheizt werden, drinnen gibt es wenig, aber zumindest ein Bett für jeden. Die Struktur ist klar, es gibt Wege und offene Plätze, sogar einen Sportplatz. Die Sanitäranlagen werden oft gereinigt.

Und doch ist das neue Lager erschreckend anzusehen. Natürlich waren wir nicht drin. Niemand darf aktuell hinein. Niemand außer dem Sicherheitspersonal und den Flüchtlingen, die hier leben müssen. Wir sind mitten in den Bergen, ungefähr zwei Stunden Fußmarsch von der Stadt entfernt. Es gibt einen hohen Zaun mit Stacheldraht, Sicherheitsschleusen, kein Baum, kein Grün. Und es gibt nichts zu tun, nichts außer Warten. Irgendwann kann man über einen der riesigen Lautsprecher ausgerufen werden. Denn Termine gibt es nicht oder man erfährt sie nicht. Und wenn man dann nicht da ist? Denn tagsüber darf man das Camp verlassen, wenn man nicht ganz neu hier ist. Dann heißt es weiter warten, auf die nächsten Slot, wann immer der sein mag.

Die Sicherheit hat zugenommen, sagt uns eine junge Frau, die im alten und neuen Camp leben musste. Die Sicherheit gegenüber Menschen, die nachts ausrasten oder von außen kommen, um zu randalieren. Aber die Gewalt von offiziellen Stellen ist unberechenbar geworden. Sie kommen, wann sie wollen, sagt die junge Frau, und sie sind aggressiv, machen uns schreckliche Angst, schlagen die Männer und drohen uns, mit uns Frauen das Gleiche zu tun, wenn wir schreien. Die NGO „I have rights“ hat diese Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Passiert ist bisher nichts.

Der Asylprozess hat sich verbessert, ist viel schneller geworden. Für die meisten zumindest. Aber wenn der Antrag einmal positiv entschieden ist, muss man das Camp verlassen – und erhält keine Unterstützung mehr, nicht in Bezug auf eine Unterkunft und auch nicht für das tägliche Überleben. Gerade deshalb ist das Housingprojekt von Space Eye Hellas so wichtig. „Ich hätte nicht gewusst wohin“, sagt die junge Frau, „ich hätte auf der Straße oder in Abrissgebäuden schlafen müssen und aus Mülltonnen leben“. Viele ziehen weiter nach ihrem Asylbescheid, gehen auf das Festland, versuchen sich zu Freunden und Verwandten durchzuschlagen. Aber nicht so selten gibt es Probleme: nicht alle Familienmitglieder erhalten gleichzeitig Schutz, nicht alle Papiere sind zusammen, um auch die Reiseunterlagen zu erhalten und nicht zu vergessen: es entsteht eine zeitliche Lücke zwischen dem Bescheid, dem gezwungenermaßen veranlassten Verlassen des Camps und der Aushändigung der Papiere. Das können ein paar Wochen sein, es können aber auch Monate sein. Und Arbeit ist rar auf der Insel, außerhalb der Saison quasi nicht vorhanden.

Ja, vieles erscheint auf den ersten und zweiten Blick deutlich geordneter, aber ein Gefängnis bleibt es, das neue Lager auf Samos. Und das vergleichbare Lager auf Lesbos ist auch schon fertig gestellt. Nur dass es auch hier ein Problem gibt: die Wasserversorgung.

Das Projekt darf nicht enden! Sie möchten Space Eye Hellas unterstützen?

https://www.betterplace.org/de/projects/108378-health-network

https://space-eye.org/hellas

Dokumentation von der Deutschen Welle, 2021 zum Umzug ins neue Camp auf Samos:

https://www.dw.com/de/das-neue-fl%C3%BCchtlingslager-auf-samos-eine-kleinstadt-hinter-stacheldraht/a-59265243

Film Space-Eye vom alten Camp auf Samos:

https://www.youtube.com/watch?v=sSESfahLOsg&t=5s

 

Cisse

Cisse

Mein unbändiger Wissensdurst hat mir geholfen, zu überleben

Cisse ist aus Guinea geflohen. 2020 ist er in Griechenland angekommen. Alleine, 16 Jahre alt und nach schrecklichen Erlebnissen in seinem Heimatland. Seine Eltern hat er durch gewalttätige Übergriffe verloren, musste sich alleine durchschlagen. Obwohl er unter Planen im Flüchtlingscamp auf Samos leben musste, ließ er sich nicht unterkriegen. Innerhalb eines Jahres lernte er perfekt Griechisch.

Uschi Wohlgefahrt von Space-Eye Hellas erkannte das große Potenzial, das in diesem jungen Menschen mit seiner außergewöhnlichen Intelligenz und Sprachbegabung schlummert. Seit dem Frühjahr 2021 wird er im Housingprojekt von Space-Eye Hellas unterstützt, wohnt in einer kleinen Wohnung und bekommt ein kleines Taschengeld, um sich auf das Lernen konzentrieren zu können. Er besuchte bis vor Kurzem das Gymnasium auf Samos und lernte für das Abitur zusätzlich Altgriechisch und Latein. Sein Traum ist es, in Thessaloniki zu studieren. Auch sein Asylantrag wurde nach langem Warten positiv beschieden. Er kann nun dauerhaft in Griechenland bleiben.

Nach seinem Abitur hat er sich an seine Schule gewandt, um sich zu bedanken und sehr persönliche Worte an die Menschen zu richten, die ihn in der Schule unterstützt haben. Hier könnt Ihr seinen Brief lesen:

„Liebe Freunde, Rektor, Lehrer, Mitschülerinnen und Mitschüler,

ich möchte mich erstmal bedanken, dass Ihr für mich da gewesen seid!

Anlässlich des Schuljahresende und unserer Abschlussfeier und da jeder von uns nun seinen eigenen Weg gehen wird, werde ich versuchen, meine Odyssee von meiner Abreise aus Guinea bis heute darzustellen. Ich spreche mit Euch über den Weg, den ich eingeschlagen habe, über die Länder, die ich durchlaufen musste bis ich in meinem neuen Zuhause angekommen bin, von dem ich noch nicht wusste, dass es mein Zuhause werden würde.

Der Weg aus Guinea war hart. Ich wurde von Banditen angegriffen. Ich sah Menschen an Erschöpfung auf der scheinbar endlosen Reise sterben. Kinder waren darunter, die es nie mehr schaffen können, ihre Träume zu verwirklichen.

Ich bin für ein paar Monate in der Türkei geblieben, bevor ich nach Griechenland gekommen bin. Aber warum bin ich aus der Türkei nach Griechenland gekommen? Als ich zur Schule wollte, wurde mir klar, dass dies in der Türkei nicht möglich sein wird, weil Bildung dort nicht kostenlos ist und ich kein Geld hatte, um den Unterricht zu bezahlen. In Guinea ging ich bis zum Tod meiner Eltern regelmäßig zur Schule. Es war mir ein Bedürfnis, dies fortzusetzen. Wie eine Notwendigkeit, wie ein Grund, deshalb zu durchzuhalten.

Mit diesen Träumen bin ich nach Griechenland gekommen und dachte, dass die nötigen Papiere schnell erledigt wäre. Ich dachte, dass ich nach kurzer Zeit Asyl bekäme, da ich minderjährig und sogar unbegleitet war.

Aber der Prozess verzögerte sich ständig. Während ich wartete, musste ich unter elenden Bedingungen im Camp leben. Da Asylanträge ewig bearbeitet wurden und oft doch abgelehnt wurden, entschied ich mich, nicht länger zu warten und das Camp zu verlassen, auch wenn mir dies eigentlich nicht gestattet war. Es war an der Zeit, mein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Es erschien mir als Zeitverschwendung, auf ein Stück Papier zu warten, von dem ich nicht wusste, ob und wann ich es bekommen würde. Ich meldete mich bei dieser Schule.

Seitdem habt Ihr mir in all den schwierigen Zeiten beigestanden. Ihr habt dafür gesorgt, mir das Lächeln zu schenken, das ich für eine lange Zeit verloren hatte. Ich vergesse nie die Sätze, die Ihr mir zu meiner Einschulung gesagt habt: „Willkommen in unserer Schule, Cisse! Du bist einer von uns! Hab keine Angst, sei nicht nervös, komm zu uns, wenn Du uns brauchst und lass uns reden!“ Und auch die Worte des Direktors: „Was auch immer du brauchst, habe keine Angst, klopf an unsere Bürotüren. Wir sind für Dich  da und werden Dich unterstützen!“ Noch immer bin ich sprachlos über die Liebe, die Ihr mir entgegengebracht habt.

Wenn ich nachts wach liege und daran denke, was ich durchgemacht habe, all die Schwierigkeiten, die ich erlebt habe, vergieße ich Tränen. Werden diese Tränen je wieder verschwinden? Einerseits erinnere ich mich an meine Eltern, die ich vermisse, andererseits habe ich Euch, die Ihr mich in diesen Jahren mit Liebe, Zärtlichkeit und Zuneigung erfüllt habt. Ihr seid wie eine Familie für mich geworden. Die Momente, die ich mit Euch verbracht habe, bleiben unvergesslich für mich.

Vielen Dank für Eure Liebe und Fürsorge für mich.
Ihr werdet immer einen Platz in meinem Herzen haben!
Euer Klassenkamerad und Sohn
Cisse“

Sahar

Sahar

Vielleicht werden wir irgendwann ankommen. Irgendwo.

Wir blicken immer wieder auch auf Erfahrungen mit Menschen zurück, die uns bereits verlassen haben und fragen uns, was aus ihnen geworden sein mag. Denn nicht immer wissen wir, wie es weitergegangen ist, wenn sie die Insel und das Projekt Space-Eye Hellas verlassen haben. 

So geht es uns auch mit einer afghanischen Familie, die aus dem Camp in eine unserer Projektwohnungen gezogen ist. Wir erinnern uns an einen Besuch bei der Familie. Wir sitzen in dem kleinen Innenhof, es ist luftig und sehr angenehm an diesem ansonsten so heißen Tag.

Die junge Mutter der Familie heißt Sahar. Ihr jüngstes Kind, ein erst zwei Monate altes Baby, schläft in seinem Bettchen drinnen. Das Baby trägt ein Kleid, dass Sahar selbst genäht hat wie sie uns stolz erzählt. 

Zwei Monate alt? Das heißt, dass das Baby auf Samos geboren wurde. Als die Familie noch im Camp wohnte. Wie wird das wohl gewesen sein? 

Die Mutter erkrankte zwei Monate vor der Geburt an Corona. Die ganze Familie musste in einen isolierten Container im Camp. Natürlich, denken wir uns, das ist ja normal. Aber die Quarantänezone im Camp ist noch gefürchteter als der Rest der Container. Sicher hat das auch mit dem noch stärkeren Gefühl zu tun, eingeschlossen zu sein. Glücklicherweise ging auch dies vorüber. 

Sahar zeigt uns die Wohnung. Sie ist sauber und ordentlich. Eine kleine Zweizimmerwohnung. Und ganz für die Familie alleine. Normal? Vielleicht für uns, die wir dies hier lesen. Aber nicht, wenn man Monate, Jahre auf der Flucht in provisorischen Unterkünften und Flüchtlingscamps gehaust hat. Dann ist das hier ein Luxus. Denn Privatsphäre ist Luxus für Flüchtlinge. 

Sahar stillt das Baby, ganz konzentriert, ganz ruhig. Dann erzählt sie uns ihre Geschichte: Sie ist eines von sieben Kindern. Mit 15 Jahren wurde Sahar verheiratet. Sie gebar ihre erste Tochter mit 16 Jahren. Dem Jahr, indem ihre Mutter bei der Geburt ihres jüngsten Bruders verstarb. Von nun an kümmert sie sich sowohl um ihre eigene kleine Familie als auch um ihre Geschwister und ihren Vater. 

Ein älterer Nachbar belästigt Sahar drei Jahre lang. Immer wieder stellt er ihr nach, will, dass sie sich von ihrem Mann trennt und setzt sie unter Druck. Sahar soll zu ihm ziehen und seine Frau werden. Er droht ihr und der Familie, sagt, dass er ihren Mann oder ihre Tochter umzubringen wird, wenn sie nicht tut, was er will. Sie und ihr Ehemann haben immer mehr Angst, nehmen die Drohungen ernst. Sie wären nicht die ersten, denen etwas passiert. Die Regierung und die Polizei bieten keinen Schutz. 

So beschließen sie von der Provinz Daikondi nach Kabul zu ziehen. Hier wird der Nachbar sie nicht finden. Aber es ist schwierig durchzukommen. Egal, was sie versuchen, sie finden keine Arbeit und so verlassen sie Kabul schließlich und ziehen weiter in den Iran. Viele Afghanen leben im Iran, manche sind dort geboren und waren nie in Afghanistan. Sahar und ihre Familie bleiben 13 Jahre dort und Sahar bekommt zwei Söhne. 

Ihr Mann findet Arbeit, meist Gelegenheitsjobs auf dem Bau. Sahar arbeitet als Näherin. Aber Afghanen genießen im Iran wenig Rechte und werden von für uns normalen Dingen wie Gesundheitswesen und Bildung meist ausgeschlossen. So dürfen Sahars Kinder keine Schule besuchen. Mit dem bisschen Geld, dass sie verdienen, zahlen die Eltern einen anderen Afghanen dafür, dass er ihre Kinder unterrichtet. 

Das Leben im Iran wird immer beschwerlicher. Sie sehen keine Zukunft und können auch nicht zurück nach Afghanistan, wo die politische Lage immer unübersichtlicher wird. Sie beschließen nach Europa zu gehen. 

Und so machten sie sich auf den Weg. Zu Fuß und manchmal mit einem Auto, das sie mitnahm, gelangten sie in die Türkei. In der Türkei blieben sie knapp einen Monat bis sie in ein Schlepperboot nach Griechenland stiegen. Welche Ängste mögen sie ausgestanden haben mit drei Kindern auf dem Meer? Sahar sagt, es war so laut im Boot. Und eng. Viel zu viele Menschen sind eingestiegen. Sie waren verzweifelt und weinten so laut. 

Und wieder wiederholt sich die Geschichte, die wir so oft gehört haben: die griechische Polizei entdeckt das Schlepperboot auf dem Meer und bringt es zurück in die Türkei, obwohl sie schon fast angekommen waren. Erst beim dritten Anlauf gelingt es der Familie auf Samos anzukommen. 

Es sollten 18 Monate im Camp folgen. 18 lange Monate. Und besonders lang, da es auch hätte noch länger sein können. Niemand, der im Camp ankommt, weiß, wie lange er bleiben muss.

Sahar sagt, das sei jetzt vorbei. Ihr Ziel sei es, sobald sie können, auf das Festland zu ziehen. Um dann irgendwann irgendwo anzukommen. 

Das Projekt darf nicht enden! Sie möchten Space-Eye Hellas unterstützen?

https://www.betterplace.org/de/projects/108378-health-network

https://space-eye.org/hellas