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Uschi (Uschi Wohlgefahrt Braun) sagt, alles habe damit begonnen, dass sie aus privaten Gründen nach Samos kam, um zu bleiben. 2020 war das, mitten im Corona-Jahr. Sie hatte eine Wohnung gemietet, doch eingezogen ist sie dort nicht.
 
Denn direkt nach ihrer Ankunft hat sie eine junge Frau getroffen. Verzweifelt, Flüchtling, obdachlos. Kein Problem, sagt Uschi, sie kann bei ihr einziehen, sie finde für sich auch eine andere Lösung. Damit war, ohne dass Uschi es damals schon wusste, das Housing-Projekt Samos geboren. Es sollten später noch das Projekt in Athen und auf Lesbos dazukommen.
 
Immer mehr Menschen wenden sich an sie, weil sie das Camp nach der Anerkennung des Asylantrags verlassen müssen und nicht wissen wohin. Sie müssen auf ihren Pass warten, um weiterziehen zu können. Die griechische Regierung unterstützt sie als anerkannte Flüchtlinge allerdings nicht mehr – nicht mit finanziellen Mitteln, nicht mit Unterkunft.
 
Uschi ist keine, die großes Aufheben macht. Nicht um sich selbst und nicht um das, was sie jeden Tag ehrenamtlich tut. Zu den Hochzeiten der Flucht bietet sie über 100 Menschen auf Samos Unterschlupf und Versorgung mit dem Nötigsten. Uschi macht einfach. Immer wieder spricht sie den Leitsatz von Space-Eye, mit denen sie sich nach einiger Zeit mit ihrem Housing-Projekt zusammentut, aus: Handmade Humanity. Das ist, was für Uschi zählt.
 
Meist ist sie alleine unterwegs, wenn sie Glück hat, ist ein Volunteer für begrenzte Zeit gekommen, um sie zu unterstützen. Bei der Betreuung der Menschen, bei der Ausstattung der Wohnungen, beim Räumen von Wohnungen, wenn Menschen weitergezogen sind. Bei der Administration. Zu Uschi gehört ihr kleines, gelbes Auto, das mal zum Transportmittel für Wäscheberge wird, mal zum Verkehrsmittel, um Menschen aus dem neuen Camp in den Bergen abzuholen und zu der von Uschi angemieteten Unterkunft zu bringen.
 
„Mama Uschi“ nennen sie die Flüchtlinge. Und sicher ist sie das auch: Wie eine Mutter, die sich um die Menschen in Not sorgt, Unterstützung bietet, wo sie am dringendsten gebraucht wird, aber auch klare Regeln setzt. Dabei geht es nicht um Erziehung des Einzelnen, nicht mal um Integration in die griechische Gesellschaft, sondern um das Wohl aller und des Projektes. Denn die griechische Polizei beendet die Tätigkeit von Hilfsorganisationen sofort, wenn zum Beispiel nicht registrierte Flüchtlinge in den von ihr angemieteten Wohnungen unterschlüpfen. Und damit wäre nicht nur für die aktuellen Bewohner die Zufluchtsmöglichkeit beendet.
 
Aber das ist nicht die einzige Gefahr für das einzige Housing-Projekt auf Samos. Es gibt so viele Krisen auf dieser Welt, die öffentliche Aufmerksamkeit wendet sich ab und damit häufig auch das Interesse der Spender. Und auf Spenden ist das Projekt zu 100 % angewiesen. Staatliche Unterstützung gibt es nicht. Freilich geht es nicht darum, dass sich die Krisen Konkurrenz machen sollen. Vielmehr geht es darum, dass die Krise an der europäischen Außengrenze längst nicht beendet ist. Ob wir das in Deutschland und dem Rest der Welt wissen oder nicht.
 
Immer wieder wird sie von Menschen außerhalb von Griechenland gefragt: Kommen denn überhaupt noch Flüchtlinge? Man hört ja gar nichts mehr. Laut Aegean Boat Report waren es 2022 rund 11.500 Menschen, die mit kleinen, überfüllten Booten über das Meer auf die griechischen Inseln gekommen sind. Irregulär oder illegal, wie es heißt, denn eine legale Einreisemöglichkeit gibt es für kaum einen Flüchtling außerhalb der Ukraine nach Europa. 11.500 Menschen, die im Lager auch tatsächlich angekommen sind. Das ist die erste Stelle, wohin Menschen von der Küstenwache oder Polizei auf der Insel gebracht werden müssten. Um registriert zu werden, versorgt zu werden, in Quarantäne zu gehen und den Asylprozess zu starten. Im gleichen Zeitraum sind jedoch 26.133 Menschen nicht angekommen, sondern per Pushback – illegalen Pushbacks, die gegen die Menschenrechte verstoßen – zurück in die Türkei geschickt worden.
 
Bei Uschi im Projekt kommen die Menschen erst an, wenn sie den Asylprozess fast abgeschlossen haben. Bei fast allem Menschen, die sie betreut, wurde der Antrag anerkannt und sie warten auf ihre offiziellen Papiere, um die Insel verlassen zu können. Denn das wollen fast alle. Wie lange so ein Prozess dauern können, von Ankunft am Strand bis zum Ausweis, der den Schengenraum zumindest für Reisen öffnet? Uschi sagt, das wisse man nicht. Es ginge im letzten Jahr deutlich schneller. Oft hätten Menschen früher bis zu zwei Jahre auf die erste Anhörung im Camp warten müssen. Heute kann es in wenigen Monaten geschafft sein. Aber wie lange man dann ohne Unterstützung auf die Papiere warten müsse, ist für die Betroffenen und auch für Uschi offen. Das sei nicht vorhersehbar. Wochen, manchmal Monate, wenn es Probleme gibt, auch mal Jahre, in denen man die Insel nicht verlassen darf.
 

Uschi bekommt einen Anruf von MSF, der französischen Sektion der Ärzte ohne Grenzen, der letzten verbliebenen NGO, die Menschen kostenfrei medizinisch und manchmal, wenn Zeit ist, auch psychologisch versorgt. Denn: auch die NGOs sind weitergezogen oder haben sich aufgelöst. Waren es in 2016 rund 60, die auf der Insel für alles Mögliche gesorgt haben, sind es aktuell vielleicht noch 12. Inklusive Rechtsberatung und eben medizinischer Versorgung. Und Space-Eye-Hellas mit Uschis Housing-Projekt.

 

 
 
MSF ruft also an. Sie hätten einen besonders schwierigen Fall. Ob Uschi helfen könne. Eine Mutter mit einer Tochter im Teenageralter. Die jüngere Tochter hat die Überfahrt nicht überlebt. Sie fiel nahe dem rettenden Strand von Samos ins Wasser, wurde abgetrieben, ist ertrunken. Uschi setzt sich in Bewegung, sie muss eine Unterkunft für Mutter und Tochter finden, noch am gleichen Abend, sie sollen nicht länger im Camp bleiben. Dort waren sie einige Wochen nach dem schrecklichen Ereignis und haben auf die Anerkennung – wie alle anderen – warten müssen.
 
Ob Uschi manchmal erschöpft ist? Wir wissen es nicht, anzumerken ist es ihr nicht. Sie macht einfach, was sie für richtig hält. Zieht eine klare Grenze zwischen Gleichbehandlung, wo alle das Gleiche bekommen und Fairness, wo es darum geht, zu sehen, wer was nötig hat. Und Uschi achtet darauf, was nötig ist. Nicht immer ist es mit Geld zu besorgen. Aber oft eben schon. Das Budget ist eng bemessen, Uschi haushaltet mit klarem Verstand und unfassbar gutem Überblick. Sie weiß, wie man mit wenig auskommt und Löcher stopft.
 
Was sie frustriert? Das sich nichts wirklich geändert hat über all die Jahre. Menschen kommen und gehen, sitzen in Camps unter fragwürdigen Umständen fest und wissen danach auch nicht wirklich weiter. Ob sie darüber nachdenkt aufzugeben? Nein, Aufgeben ist nicht Uschis Ding. Zu viele werden auch in der Zukunft auf sie angewiesen sein. Auf ihre Hilfe, ihren Pragmatismus und ihre Menschlichkeit. Und für jeden Einzelnen wird es einen Unterschied machen, sie kennengelernt zu haben.
 
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