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Berkem – die Geschichte einer kurdischen Familie

Von Ursula Wohlgefahrt

Soeben bin ich beim Haus von Berkem und seiner Familie in Samos angekommen, da kommt er mir mit einem breiten Grinsen auf der Straße entgegen. Er kommt grade vom Fischen. In seinem Kessel hat er ein paar Fische für seine Familie fürs Abendessen gefangen. Mit der Polizei hat er sich wieder gestritten. Sie wollten nicht, dass er dort fischt, wie schon einige Male, aber ohne Fahrrad kann er nicht allzu weit gehen. Sein Körper macht das nicht mit. Durch die Folgen der Folterungen im Irak hat er verschiedene Beschwerden.
Wir gehen hinauf in die Wohnung. Die Frau und die Kinder begrüßen uns herzlichst. Wir trinken einen Tee und Berkem („der Lächelnde“), ist sofort bereit, von seinem Leben und seiner Flucht zu erzählen, aber bitte, keine Fotos und keine genauen Angaben. Ich frage ihn, ob er denn vor etwas Angst habe? «Madame», antwortet er, «ich kann kaum schlafen, ich habe so Angst, dass sie mich hier wieder finden und dass sie uns alle umbringen. Bitte machen Sie keine Fotos mit meinem Gesicht, bitte, Madame. Ich erzähle ihnen alles». Berkem hat meine Neugier geweckt und ich höre ihm aufmerksam zu. Plötzlich wird er so emotional, dass es nicht mehr auf Englisch geht und dass wir die Hilfe eines Übersetzers per Telefon anfordern müssen.

Vor drei Jahren kam die Familie nach fünf Versuchen, das Meer zu überqueren, nach Samos. Viermal wurden sie von der Küstenwache an die türkische Polizei ausgeliefert. Viermal mussten sie sagen, sie seien Syrer und ja keine Kurden aus dem Irak. Sie wussten, dass Kurden ins Gefängnis kamen und zurückgeschoben worden sind. Das Gefängnis hatte Berkem genug gesehen. Das wollte er sich und seiner Familie nicht antun. Ganze 40.000 Euro haben seine Verwandten für ihn und seine Familie für die Überfahrten bezahlt. Der irakische Staat hat ihm längst seine Konten gesperrt und alle Guthaben und Vermögen beschlagnahmt. Im Norden von Irak war er in einer Stadt zu Hause. Sein Vater war der Bürgermeister und in der Baath-Partei. Er als Sohn war automatisch auch Mitglied dieser Partei. Sie waren angesehene, reiche Leute. Berkem führte einen Autohandel und hatte Angestellte. Die Geschäfte liefen gut. Die Parteien haben sich bekämpft. Das erste – von insgesamt sechs Malen – wurde er 2002 für sechs Monate ins Gefängnis gesteckt. Folter war an der Tagesordnung. Er zeigt mir seinen Rücken, der übersät mit dicken Narben ist. Beim letzten Mal drohten sie ihm, dass sie seine Frau und die Töchter schänden würden. Nun hielt es ihn nicht mehr im Irak. Ende 2017 reiste er nach Bagdad und flog dann mit dem Flugzeug in die Türkei. Die Frau mit der Familie folgten ihm drei Monate später. Über Istanbul sind sie nach Izmir und dann mit dem Boot nach Samos gekommen. In Samos lebten sie fünf Monate im Camp. Dort haben sie die Spitzel der irakischen Polizei gefunden, und dreimal wurde er im Camp zusammengeschlagen. Einmal hat ihn die griechische Polizei drei Tage bei sich aufgenommen und ihn dann wieder frei gelassen, weil es nicht ihre Aufgabe sei, ihn zu beschützen. Er wurde in den letzten drei Jahren aus Sicherheitsgründen siebenmal in Griechenland verschoben. Angst habe er ständig, dass sie ihn und die Familie finden würden. Ich frage ihn, ob er denn denkt, in Deutschland sei es besser. Er meint, vielleicht müsse er den Namen wechseln. Er wisse es nicht, aber die Angst gehe einfach nicht aus seinem Kopf. Berkem wartet auf die Pässe und dann will er weg, so schnell, wie möglich.

Bis jetzt hat er mir noch nichts über seine Frau erzählt und ich bin neugierig, auf ihr privates Leben und frage ihn, ob seine Ehe arrangiert gewesen sei? Nein, meint Berkem, er habe immer seinem Vater gehorcht, außer in diesem Punkt. Er sei schon lange in seine Cousine Zakja verliebt gewesen und wollte nur sie. Sein Vater habe Bedenken gehabt, wegen gesundheitlicher Folgen bei den Kindern. Er habe einfach nur Zakja gewollt und schließlich den Segen vom Vater erhalten, dabei strahlt er. Ja, er hat eine gute Wahl gemacht mit seiner Zakja. Sie ist immer am Kochen und Backen und ihre Gerichte sind vorzüglich. Und die Kinder sind äußerst gut geraten und sehr höflich.

Was ihm denn, außer der Angst noch Mühe mache, frage ich ihn. Das sei das Warten und nochmals Warten, antwortet er. Er könne nicht jeden Tag fischen gehen. Er möchte endlich wieder Arbeiten, egal was. Auch das angewiesen sein auf fremde Hilfe mache ihm so Mühe. Im Irak hätte er mehr als genug Geld gehabt, ein großes Haus und viel Land und Olivenbäume. Aber hier werde er fast wahnsinnig und er habe einfach zu viel Zeit zum Denken und dann drehen sich seine Gedanken im Kreis.

„Uschi“

Ursula Wohlgefahrt lebt auf Samos und kümmert sich „hauptamtlich“ um gestrandete Flüchtlinge – Menschen, die zwar eine Anerkennung als Asylberechtigte haben, aber kein Geld, keine Unterkunft und keine Ausreisepapiere. Für Space-Eye betreibt „Uschi“ auf Samos ein Housing-Project, das inzwischen rund 90 Menschen Unterkunft bietet.