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Von Ursula Wohlgefahrt

Als Musiklehrer hat der heute 33-jährige Yassir früher in Hama, nördlich von Homs in Syrien, sein Geld verdient. Er unterrichtete hauptsächlich den Kindern in der Schule Solfège. Mit Solfège wird die Stimme und das Gehör gebildet. Doch seine große Liebe gilt der Oud, dem schönen Mandoline-artigen Saiten-Instrument, das im Nahen Osten gespielt wird. Bei Konzerten, an Hochzeiten und bei Festen verschmolz seine Seele. Wenn er Musik spielen kann, so ist er in einer anderen Welt.

Seine Frau ist Hauswirtschaftslehrerin und gibt noch heute Unterricht, jedoch schon lange nicht mehr in Vollzeit, seit die beiden eine kleine Tochter haben. Die Kleine ist nun zwei Jahre alt. Als sie drei Monate alt war, hat Yassir die Familie verlassen. Seine Frau wohnt jetzt bei den Schwiegereltern. Sie ist die einzige Tochter. Das wenige, das sie nun verdient, reicht ihr nicht zum Leben, aber mit der Unterstützung der Schwiegereltern kommen sie über die Runden. Der syrische Staat zahlt kaum mehr Löhne für Lehrer.

Yassir ist über die Grenze in die Türkei geflüchtet. Die Angst vor einem Einzug ins Militär, oder eine Entführung, war zu groß. Wenn es kritisch wurde, konnte die Familie ihn immer wieder verstecken.

Auf der Flucht war nicht alleine. An der syrisch/türkischen Grenze sind sie durch einen langen Tunnel, den Syrer zuvor gebuddelt hatten, unter der Grenzmauer durch auf allen Vieren in die Türkei gekrochen. Der Tunnel war dunkel und schmal und sehr lang. Es ist ihm wie eine Ewigkeit erschienen, bis er auf allen Vieren robbend das Ende des Tunnels erreichte und wieder frische Luft schnappen konnte, über und über voll von Erde und Blut.  Einmal drinnen gab es kein Zurück mehr, nur noch ein Vorwärts. An den Knien und am Kopf hat sich Yassir verletzt, da vergrabene Eisenstücke scharfe Kanten hatten und er sie in der Dunkelheit nicht gesehen hatte.  Doch es gab kein Ausruhen: Sie mussten schnellstens weg von der Grenze, zu Fuß über einen Berg und über einen Fluss bis nach Mersin. 15 Tage waren sie zu Fuß unterwegs. Dann sind sie mit einem Dolmus Bus nach Izmir gelangt. Hier war vorläufig Schluss. Covid hat die weitere Flucht vorläufig für sechs Monate verhindert. Für diese Zeit in Izmir haben ihm die Schlepper 3.000 Euro abgenommen, um dort ein Bett und ein Dach über dem Kopf zu erhalten. Nach sechs Monaten haben sie die Schlepper nach Sisme gebracht. Dort stand eine Jacht für sie bereit. Jeder der 25 Flüchtlinge hat den Schleppern 4.000 Euro bezahlt. Mit der Jacht ging es von Sisme bis nach Athen. Ein Cousin hat sie mit meinem Begleiter am Hafen von Athen erwartet und sie dann in eine Wohngemeinschaft WG für junge Leute nach Achernoun (Stadtteil von Athen) gebracht. Da das Geld inzwischen längst zu Ende war, landete er auf der Straße, konnte aber immer bei der armenischen Kirche am Mittagstisch dabei sein.

Nun hat auch er ein Bett in der Männer-WG von Space-Eye in Neos Kosmos erhalten und ist dafür sehr dankbar.

Das Schlimmste für ihn ist, dass er von Frau und Kind inzwischen schon seit einem Jahr und acht Monaten getrennt ist. Die Kleine hat er nur über WhatsApp aufwachsen sehen. Seine Familie hat für seine Flucht bis jetzt zwei Häuser verkauft, plus das Auto seines Schwagers. Jetzt ist er verschuldet und hat kein Geld für die weitere Flucht nach Holland. Die Schmuggler wollen für die Strecke Athen-Holland nochmals 3.500 Euro.  Viermal hat er es bereits versucht, mit dem Flugzeug nach Belgien zu fliegen. Viermal hat ihn die Polizei erwischt. Jetzt ist vorläufig ein Ende. Seine Familie kann kein Geld mehr beisteuern. Jetzt muss er unbedingt eine Arbeit suchen.

Die einzige rechtliche Möglichkeit heute, um seine Familie zu vereinen, ist Holland. Aber dazu muss er zuerst in Athen Arbeit finden. Wie durch ein Wunder haben wir im Fundus der Armenisch-Katholischen Kirche eine Oud gefunden: Vielleicht ist dies ja der Schlüssel zu einer baldigen Arbeit. Vielleicht!