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Vielleicht werden wir irgendwann ankommen. Irgendwo.

Wir blicken immer wieder auch auf Erfahrungen mit Menschen zurück, die uns bereits verlassen haben und fragen uns, was aus ihnen geworden sein mag. Denn nicht immer wissen wir, wie es weitergegangen ist, wenn sie die Insel und das Projekt Space-Eye Hellas verlassen haben. 

So geht es uns auch mit einer afghanischen Familie, die aus dem Camp in eine unserer Projektwohnungen gezogen ist. Wir erinnern uns an einen Besuch bei der Familie. Wir sitzen in dem kleinen Innenhof, es ist luftig und sehr angenehm an diesem ansonsten so heißen Tag.

Die junge Mutter der Familie heißt Sahar. Ihr jüngstes Kind, ein erst zwei Monate altes Baby, schläft in seinem Bettchen drinnen. Das Baby trägt ein Kleid, dass Sahar selbst genäht hat wie sie uns stolz erzählt. 

Zwei Monate alt? Das heißt, dass das Baby auf Samos geboren wurde. Als die Familie noch im Camp wohnte. Wie wird das wohl gewesen sein? 

Die Mutter erkrankte zwei Monate vor der Geburt an Corona. Die ganze Familie musste in einen isolierten Container im Camp. Natürlich, denken wir uns, das ist ja normal. Aber die Quarantänezone im Camp ist noch gefürchteter als der Rest der Container. Sicher hat das auch mit dem noch stärkeren Gefühl zu tun, eingeschlossen zu sein. Glücklicherweise ging auch dies vorüber. 

Sahar zeigt uns die Wohnung. Sie ist sauber und ordentlich. Eine kleine Zweizimmerwohnung. Und ganz für die Familie alleine. Normal? Vielleicht für uns, die wir dies hier lesen. Aber nicht, wenn man Monate, Jahre auf der Flucht in provisorischen Unterkünften und Flüchtlingscamps gehaust hat. Dann ist das hier ein Luxus. Denn Privatsphäre ist Luxus für Flüchtlinge. 

Sahar stillt das Baby, ganz konzentriert, ganz ruhig. Dann erzählt sie uns ihre Geschichte: Sie ist eines von sieben Kindern. Mit 15 Jahren wurde Sahar verheiratet. Sie gebar ihre erste Tochter mit 16 Jahren. Dem Jahr, indem ihre Mutter bei der Geburt ihres jüngsten Bruders verstarb. Von nun an kümmert sie sich sowohl um ihre eigene kleine Familie als auch um ihre Geschwister und ihren Vater. 

Ein älterer Nachbar belästigt Sahar drei Jahre lang. Immer wieder stellt er ihr nach, will, dass sie sich von ihrem Mann trennt und setzt sie unter Druck. Sahar soll zu ihm ziehen und seine Frau werden. Er droht ihr und der Familie, sagt, dass er ihren Mann oder ihre Tochter umzubringen wird, wenn sie nicht tut, was er will. Sie und ihr Ehemann haben immer mehr Angst, nehmen die Drohungen ernst. Sie wären nicht die ersten, denen etwas passiert. Die Regierung und die Polizei bieten keinen Schutz. 

So beschließen sie von der Provinz Daikondi nach Kabul zu ziehen. Hier wird der Nachbar sie nicht finden. Aber es ist schwierig durchzukommen. Egal, was sie versuchen, sie finden keine Arbeit und so verlassen sie Kabul schließlich und ziehen weiter in den Iran. Viele Afghanen leben im Iran, manche sind dort geboren und waren nie in Afghanistan. Sahar und ihre Familie bleiben 13 Jahre dort und Sahar bekommt zwei Söhne. 

Ihr Mann findet Arbeit, meist Gelegenheitsjobs auf dem Bau. Sahar arbeitet als Näherin. Aber Afghanen genießen im Iran wenig Rechte und werden von für uns normalen Dingen wie Gesundheitswesen und Bildung meist ausgeschlossen. So dürfen Sahars Kinder keine Schule besuchen. Mit dem bisschen Geld, dass sie verdienen, zahlen die Eltern einen anderen Afghanen dafür, dass er ihre Kinder unterrichtet. 

Das Leben im Iran wird immer beschwerlicher. Sie sehen keine Zukunft und können auch nicht zurück nach Afghanistan, wo die politische Lage immer unübersichtlicher wird. Sie beschließen nach Europa zu gehen. 

Und so machten sie sich auf den Weg. Zu Fuß und manchmal mit einem Auto, das sie mitnahm, gelangten sie in die Türkei. In der Türkei blieben sie knapp einen Monat bis sie in ein Schlepperboot nach Griechenland stiegen. Welche Ängste mögen sie ausgestanden haben mit drei Kindern auf dem Meer? Sahar sagt, es war so laut im Boot. Und eng. Viel zu viele Menschen sind eingestiegen. Sie waren verzweifelt und weinten so laut. 

Und wieder wiederholt sich die Geschichte, die wir so oft gehört haben: die griechische Polizei entdeckt das Schlepperboot auf dem Meer und bringt es zurück in die Türkei, obwohl sie schon fast angekommen waren. Erst beim dritten Anlauf gelingt es der Familie auf Samos anzukommen. 

Es sollten 18 Monate im Camp folgen. 18 lange Monate. Und besonders lang, da es auch hätte noch länger sein können. Niemand, der im Camp ankommt, weiß, wie lange er bleiben muss.

Sahar sagt, das sei jetzt vorbei. Ihr Ziel sei es, sobald sie können, auf das Festland zu ziehen. Um dann irgendwann irgendwo anzukommen. 

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