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Von Ursula Wohlgefahrt
 

In der kleinen Wohnung, die von Space-Eye angemietet worden ist, sitze ich mit der Familie beim Tee und frisch gebackenen Plätzchen, bei Abu Abbas, seiner Frau Bouchra und den beiden Kindern Fathia und Mustafa. Für den kleinen Mustafa ist es das erste Mal in seinem Leben, dass er in einer Wohnung lebt. Er ist auf der Flucht geboren. Neugierig erkundet er immer wieder das ganze Mehrfamilienhaus, und Bouchra ist ständig hinter ihm her. Die Familie stammt aus dem Irak, südlich von Bagdad aus einer kleinen Stadt. Dort sind beide Eltern geboren, aufgewachsen und blieben auch bis zu ihrer Flucht. Bouchra war Arabischlehrerin bis zu ihrer Heirat.

Abu Abbas war noch ein Kind, als Saddam Hussein gestürzt wurde. Er erinnert sich, wie sie an den Straßenrand liefen und den amerikanischen Truppen zujubelten. Doch dann kam alles schlimmer, von Monat zu Monat. Der Krieg entzweite Nachbarn, die früher trotz unterschiedlichen Religionsrichtungen sich grüßten, sich gegenseitig halfen, zusammen Geschäfte machten, oder bei ihnen einkauften. Plötzlich waren alle gegen alle. Er als Schiit bekam kaum mehr Arbeit. Als Taxifahrer konnte er nicht mehr seine Familie ernähren. Kunden wandten sich von ihm ab.

Abu Abbas zeigt mir ein paar Fotos von früher, seiner Heimat und seiner Familie. Ein tiefer Seufzer und dann: ja was soll er denn tun? Er wollte nicht in den Krieg und nicht für die eine, oder andere Partei für etwas Sinnloses kämpfen. Wie sollte er denn seine Familie ernähren? Er begann, Alkohol zu beschaffen und zu verkaufen. Das Geschäft war sehr riskant, aber mit dem Einkommen konnte er seine Familie über Wasser halten. Viele haben nach dem Stoff gefragt. Einmal haben sie ihn dann erwischt. Der Kontakt mit Alkohol zählt im Islam zu den schlimmsten Verfehlungen. Er wurde gefoltert, verurteilt und ins Gefängnis geworfen. Seine Eltern und Geschwister mussten sich von ihm abwenden, damit sie in dieser Stadt überleben konnten. Sie drohten, ihn bei der erstbester Gelegenheit zu erschießen.

 

Unter solchen Bedingungen lebte Abu Abbas mit seiner Familie im Camp, bevor Space-Eye auf sie aufmerksam wurde.

Nun fiel der Broterwerb völlig weg. Aus Angst um seine Frau und Kinder verkaufte er alles, was er besaß, und fuhr nach Erbil. Dort kaufte er sich ein Flugticket und flog mit seiner kleinen Familie in die Türkei und anschließend flüchtete er mit dem Boot nach Samos. Hier hat er sich aus allem, was er im Müll an Brauchbarem fand, ein Zelt für seine Familie gebastelt, mitten unter all den anderen Landsleuten. Das Leben im Camp sei für die Familie sehr, sehr hart gewesen, besonders in der Kälte und bei Regen, erzählt Abbas. Der Sturm zerstörte manches Zelt. Sie hatten Glück. Sie sind so dankbar, dass sie jetzt wenigstens ein Zimmer in unserem Projekt haben, mit Dusche und WC. Und weit weg von Ratten, Käfern, Mücken und Müll.

 

Im Camp habe sein Vergehen mit dem Alkohol kein Aufsehen erregt. Da habe jeder seine eigenen Probleme. Ob er denn noch Kontakt habe mit seiner Familie im Irak, frage ich ihn. Nein, antwortet mir Abu Abbas, nein, leider nicht. Dabei ist er dem Weinen nahe. Er dürfe keinen Kontakt mehr haben. In der Familie gelte er nun als „Käfir“ (als  Ungläubiger, oder Gottesleugner). Seine Frau aber habe immer zu ihm gehalten, ja wenn er seine Bouchra und die Kinder nicht hätte…

Was er sich denn von der Zukunft erhoffe, frage ich. Er zeigt mit einer Hand in eine Richtung und sagt: Almanya, Almanya. Dann wolle er wieder als Fahrer arbeiten, egal, ob für Taxi oder einen Bus. Er wolle seine Familie ernähren können und erhoffe sich für seine Kinder eine gute Ausbildung. Wünschen wir ihm, dass sich seine Träume erfüllen mögen.

„Uschi“

Ursula Wohlgefahrt lebt auf Samos und kümmert sich „hauptamtlich“ um gestrandete Flüchtlinge – Menschen, die zwar eine Anerkennung als Asylberechtigte haben, aber kein Geld, keine Unterkunft und keine Ausreisepapiere. Für Space-Eye betreibt „Uschi“ auf Samos ein Housing-Project, das inzwischen rund 90 Menschen Unterkunft bietet.